Nach der Schleuse folgt eine leichte Rechtskurve
Richtung stromabwärts. Die Strömung erfasst das Boot, es wird schneller,
Wulf dreht am Ruder, die Bootsspitze dreht nach Steuerbord, noch weiter,
das Boot steht gegen den Strom. Gas geben, ein bisschen mehr als sonst,
wir beobachten Natascha, ja, wir bewegen uns vorwärts. Geschafft! Und es
war einfacher als gedacht. Uns fällt ein Stein vom Herzen. Die Strömung
der Weichsel sah am Vorabend von oben viel stärker aus als sie jetzt in
Wirklichkeit ist. Sie macht dem Motörchen keinerlei Probleme. |
Nun heißt es aufpassen. Łukasz hatte uns länger
erläutert, was es mit den Schifffahrtszeichen am Ufer auf sich hat. Das
Erste bedeutet, dass man auf seiner Seite fahren muss, das Zweite, dass
man auf die andere Seite zu wechseln hat. Dort sucht man wieder das
Erste, fährt bis zum Zweiten und wechselt wieder die Seite. Wie gut,
dass wir ein gutes Fernglas dabei haben, manche der Zeichen sind nicht
leicht zu identifizieren. Einfach geradeaus durch den Fluss zu fahren
geht nicht, weil der Hauptstrom zwischen einem Meer an Sandbänken
mäandert. Bis Mewe wechseln wir circa acht bis zehnmal die Seite.
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Ich hatte mich immer gewundert,
warum ich auf der Weichsel nie kommerziellen Schiffe sah. Jetzt weiß ich
warum: Dieses Labyrinth an Sandbänken ohne ausgebaggerte Fahrrinne ist
einfach nicht schiffbar. Die Weichsel dient offensichtlich
ausschließlich der Entwässerung Polens. Warum? In Deutschland und
etlichen Nachbarstaaten sind sämtliche größeren Flüsse schiffbar und mit
Kanälen verbunden. Die Binnenschifffahrt ist bis heute konkurrenzfähig
gegenüber Eisenbahn und LKW. Und hier verzichtet man darauf ... Das war
mal anders: Als Polen im 16. bis 18. Jahrhundert Weizenversorger für
Westeuropa war, wurde dieser per Binnenschiff nach Danzig geliefert.
Dort saßen die Danziger Pfeffersäcke und strichen eine kräftige
Monopolmarge ein: Die polnischen Weizenanlieferer durften ihren Weizen
nicht direkt einem ausländischen Kapitän andienen, sondern nur einem
Danziger Kaufmann. Das nannte man das "Goldene Zeitalter", in dem die
Kaufleute dominierten, mit der Konsequenz, dass sich in Danzig auch im
19. / 20. Jahrhundert nie ein Unternehmertum entwickelte.
Thorn war Hansestadt. Fuhren bis
dorthin die Koggen?
Noch in den 30- / 40-er Jahren
des vergangenen Jahrhunderts wurde Holz die Weichsel hinunter bis in die
Tote Weichsel getreidelt. Und Martens Vater war Chef der Bromberger
Schleppschifffahrtsgesellschaft in Bromberg. Bedeutet das, dass während
Polens kommunistischer Zeit der Fluss als Verkehrsweg aufgegeben wurde?
Viele Fragen - alle, die ich in Polen danach frage, beginnen nach
kurzer Zeit zu schwimmen ... |
Mewe: Von der im Prospekt angekündigten Fähre ist weit
und breit nichts zu sehen. Schon im Winterschlaf oder aufgegeben?
Wir können also nicht der Empfehlung folgen, am von uns aus gesehen
linken Ufer festzumachen und mit der Fähre überzusetzen. Statt dessen
ist ein Plätzchen am rechten Ufer zu suchen. Wir finden ca. 200 m
südlich von der Fährrampe eine sandige Minibucht, steigen mühseligst
aus, klettern den verbuschten Hang hinauf ... und landen im
Niemandsland. Hier geht's nicht weiter. Nachdem wir auch den verlorenen
Sohn Marten im Gebüsch wieder aufgetrieben haben legen wir ab. Die
schmale Einfahrt, aus der wir eine Gondel haben kommen sehen, trauen wir
uns nicht anzufahren. Hinein kommen wir womöglich, aber auch
wieder heraus? Später sehen wir, dass wir sie durchaus hätten benutzen
können. Letztendlich machen wir nahe an der Fährrampe fest.
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