Lebensberichte und Familienchroniken
Gottfried F.
Von Zoppot nach Australien - in vielen Schritten
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07.02.2009
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Neubeuern 1948 - 1949 Teil II
Neubeuern
muss es heute sein. Habe für einige Zeit nicht geschrieben. Der Grund
ist, dass Neubeuern 61 Jahre in der Vergangenheit liegt, ich gerade 74
erklettert habe, und das Jahr, dass ich dort verlebte, doch einen
starken, roten Faden in mir eingefädelt hatte, den es sehr schwer zu
entwinden ist.
Es
bildlich zu sagen: Ich sitze in meiner Gedankenkammer, die ich der
Zweckmäßigkeit halber, heute ganz ausgekachelt habe. Denn in meinen
Händen halte ich eine große "Wassermelone" = meine Erinnerungen an die
Zeit. Glatt und rundlich, grün wie die Jugend. Was drinnen ist, ahn ich
nur, denn ich war ja dort und dabei, wo und als sie gewachsen ist.
Tage habe
ich nun rumgerätselt, wie ich sie durchdringen, auslöffeln kann, so dass
es verständlich ist und Zusammenhang hat, denn es sind ja alles
Bruchstücke, vielleicht gar nicht wichtig und erzählenswert.
So
beschloss ich, meine Kammer auszukacheln. Die Wände auch, denn es wird
spritzen. Dem Faden kann ich nicht folgerichtig nachlaufen. So hebe ich
meine "Melone" hoch über meinen Kopf, und lasse sie mit ihrem ganzen,
eigenen Gewicht auf die Kacheln fallen!
– Platsch - Plotsch!!
Ja, es hat gespritzt. Nicht nur über den Boden, auch an die Wände, meine
Beine. Sogar im Gesicht ein paar Tropfen. Und ich lecke mir die Finger.
Grosse Brocken, kleine Stücke und nasse Splitter, viele Pfützen.
– Da habe ich also
meine eigene "Nachkriegs-Guernica" aufgeschlossen.
Nun kann
ich ganz frei und stillos alles zusammenkratzen, versuchen, es wieder
Erleben zu lassen, und das freut mich irgendwie schon. Fehler kann ich
ja nun keine damit machen. Oder kann man einer "Guernica" Fehler
nachweisen??! Also, hinein ins Gemüse!!!
Zum Vergleich Picasso's Guernica ...
Aus mir,
dem schmalen 13-jährigen Nachkriegskind, das nur zur Erholung ins
Schloss Neubeuern bei Rosenheim am Inn versandt war, wurde nach offenbar
recht kurzer Zeit der zweite eingetragene und gegenwärtige Schüler des
neu gegründeten Schulinternats Neubeuern im Freistaat Bayern.
Das
Schloss hatte ich ja schon etwas beschrieben, und will es weiter nur
noch dann tun, wenn es nötig wird. Von meinen angstvollen Nächten habe
ich gesprochen. Derer waren viele, doch wurde es bald besser, als die
kleine Masse der Schüler eintrudelte und das Schloss eine Schule wurde.
Alles war recht improvisiert am Anfang, denn es war ja ein ziemlich
ausgeraubtes Schloss nach dem Krieg, Es fehlte an allem. Betten, Tische,
Schränke. Wir schliefen auf Armeefaltbetten unter Armeedecken, doch wir
schliefen, und nun nicht mehr so ängstlich und allein.
Der Strom
war noch unterbrochen. In den Schlafsälen gingen wir bei Kerzenlicht zu
Bett. Das machte es unvermeidlich, das oft ein Wettbewerb unter den
Jungen entbrannte, wessen Fürze die größte Stichflamme entzünden konnte.
Diesen Wettbewerb versagte ich mir jedoch, denn auf dem Gebiet war ich,
und bin es noch, ein wenig "etepetete" und zurückhaltend. Doch wurde
mir das verziehen und hatte keine nachträglichen Folgen.
Mit den
Neuankommenden entwickelten sich zwangsweise recht schnell
Freundschaften. Die waren nicht immer für immer, doch wichtig, um sich
in einer solchen Gemeinschaft über Wasser zu halten.
– Gut war es für
mich, dass ich ja schon ein alter Hase im Schloss war, bevor die Neuen
eintrafen. Ich wurde gesucht und musste nicht ängstlich nach Freunden
suchen. |
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Glück
hatte ich gleich anfangs mit Jens Peter Grube!! Der war etwas
kleiner als ich, von gleichem Alter, stark, mutig, ehrlich, hatte
Phantasie und war eine richtige Freude für mich und ich wohl auch für
ihn. Wie gerne wüsste ich, was aus ihm geworden ist. Er hatte lange
glatte Haare, die sich zu beiden Seiten von seinem Mittelpoposcheitel
herunterbogen. Das gab ihm irgendwie das Aussehen einer Kastanie. Dazu
ein starkes, gutes Bauerngesicht. Wir wurden Freunde, beste Freunde für
alle Zeit, die wir zusammen waren. Auch er war ein früher Gast. So
entwickelten wir ein gewisses Hausrecht und sahen uns als "Ritter der
Tafelrunde". Recht schnell gesellte sich auch "Hampe" uns zu. Der sah
nun nach nichts Besonderem aus, hatte aber eine starke Persönlichkeit,
keine Angst, Entschlossenheit und Sinn für Gerechtigkeit.
Das war
denn auch sehr bald das Streitross, auf das sich unsere kleine Gruppe
schwang – zwei andere
Mitschüler schlossen sich uns an, deren Namen ich vergessen habe.
Gerechtigkeit!! Herausfinden der Strafbaren, und dann auch die Strafen
zu vollziehen. In unserer Altersgruppe wurden wir gefürchtet, doch auch
geachtet.
Wir
gründeten unseren eigenen Indianerstamm. In jenen Tagen war Karl May
noch eine Bibel. Gangster kannten wir nicht. Wir waren INDIANER.
Hampe war
der Oberhäuptling, ich der Unterhäuptling, mit Namen "Falkenauge". Mein
Kopfputz machte mich besonders stolz und beneidet. Er bestand aus einem
elastischen, geflochtenem Gürtel, hinten zusammengenäht. Vorne in der
Mitte prangte der gespreizte Schwanz eines Grünspechts, dessen ebenfalls
gespreizten Schwingen rechts und links daneben die Pracht
vervollkommnten. Den Specht hatte ich "gefunden auf Gemüll", also kein
Jagdopfer.
Wir nahmen
das ganze sehr ernst in all unserer Unschuld. Ich glaube, heute sind die
Kinder in dem Alter schon zu ausgebrannt, um noch so naiv zu spielen.
Doch in
jener Zeit und in der großartigen Umgebung war es Himmel. Wir schnitzten
unsere Keulen, bauten eichelschießende, verzierte, mit Gummiband
gespannte Gewehre, Flitzebogen
– und waren überaus
ausgelastet. Fochten, schacherten mit anderen Indianern und gewannen
immer, bedingt durch kluge Auswahl unsere Gegner.
Also, auch
wenn es etwas dauert, werde ich versuchen, die Indianerzeit einmal zu
bewältigen.
Unser
kleiner Stamm war mit noch anderen Schülern in einem gemeinsamen
Schlafsaal untergebracht. Im 1. Stock des Ostflügels. Die Lehrerschaft
bewohnte den Westflügel und war durch den Mittelbau von uns Schülern
abgetrennt, was wir sehr liebten. Nachts konnten wir nicht aus dem Haus,
denn die Haustür wurde immer Abends verschlossen. |
Jens Peter Grube : Wird auf Seite 42 der Ausgabe 54 / 2005 der
Zeitschrift der Freunde & Förderer Schule Schloss Neubeuern e.V. erwähnt
(pdf-Dokument) |
Nun muss
ich mal ein besonderes Melonenstück auflesen. Es ist die "Steile Wand".
Eine senkrechte Sandsteinwand, die ganz dicht an die westlichen Häuser
des Dorfes heranreichte, diese mit einer Höhe von wenigstens 25 Metern
überragte und, wie das Schloss, das ganze Dorf beherrschte. Sehr
imposant und nicht ungefährlich zu ersteigen von der Dorfseite aus. Über
lange Umwege war es von Hinten zu erreichen doch das war langweilig und
dauerte auch sehr lange.
Da war
jedoch eine ganz schmale Ritze in der Wand, etwa wie ein Kamin, in dem
es unter Schwierigkeiten möglich war in etwa zehn Minuten hinauf zu
klettern. Nicht ungefährlich. Es hieß, dass während des Krieges ein
SS-Mann da oben einen Handstand versucht hätte und dann tot am Fuß der
Wand aufgefunden wurde.
Wir
Indianer hatten die Wand schon bald erkundet und fanden eine schöne,
versteckte Mulde auf dem Felsen, nahe dem Abschuss. Diese machten wir zu
unserem geheimen Thing-Platz. Natürlich musste es ein geheimer Platz
sein, denn es war uns strengsten verboten, die steile Wand zu besteigen,
ja, selbst das Schloss nicht ohne
– selten erhaltene
– Erlaubnis zu
verlassen. Nun sag’ das mal einer echten Rothaut. Einfach unerhört!!
Zurück zum
Schlafsaal. Die Nacht ist im Gange, die Lehrer haben ihre letzte Runde
gedreht, die Haustüre gesichert. Selbst die Dohlen sitzen in ihren
Nestern. Nur im Römerturm schuhuut die Eule vom Dienst.
– Da wird es lebendig
unter fünf Armeedecken. Taschenlampen blitzen auf. Die bleichen
Rothäute schlüpfen in ihre Badehosen und legen Ihre Kriegsfarben an.
Geklaute Kreide und Buntstifte. Die Waffen werden aufgenommen, das
Fenster erstürmt. Wie durch Zufall ist da doch ein Obstspalier an der
Hauswand, das ganz hervorragend als Leiter dient. Unter verständigendem
Schnalzen fliegt unser kleiner Schwarm barfuss über Kieswege, die ohne
Schuhe zu begehen, schon eines Indianers ganzen Mut und Kraft bedürfen.
Kein Wort wird gesprochen –
Indianer verständigen sich in jenen Tagen nur mit leisem Schnalzen der
Zunge … und unterdrücktem Gestöhne, wenn ein Stein zu schmerzhaft
verletzend ist.
Im
Stockdunkeln tasten wir uns runter ins Dorf wie nur Indianer es können.
Die Steile Wand wird besiegt und genommen. Wir sitzen im Kreise zu
fünft. Was nun? Wir beschließen, Treueschwüre zu leisten, aber auch Blut
zu vergießen. Das Blut des Treuebundes. Oberhäuptling Hampe ist im
Besitz eines kleinen Taschenmessers – ein wahrer Schatz zu jener Zeit.
Es wird
beschlossen, dass jeder zu schwören habe und Hampe dann jedem einen
Schnitt in den Oberschenkel zu verabreichen habe. – Jeder hatte Schiss,
glaube ich. Von mir weiß ich es noch heute, doch ein Indianer ... Ja
nicht! Es ist nicht so dunkel, dass wir völlig blind wären. So sehen wir
denn doch, dass unser großer Häuptling das Messer hoch in die Luft hebt
und es dann todesmutig in seinen Schenkel sausen lässt. Selbst er kann
den unterdrückten Schmerzenslaut nicht vermeiden – er schnitt sich
verdammt tief. Ich bin der Nächste an der Reihe. Doch Hampe hatte mich
zu schneiden. Er steht wohl noch unter dem Schock des eigenen Schmerzes,
das ihn hindert, mich in gleicher Weise heimzusuchen. Er schneidet erst
ganz leicht und vorsichtig, meint dann aber, das dass doch nicht tief
genug sei. Ich wage nicht, ihm zu widersprechen. So zieht er denn das
Messer noch einmal in die gleiche Richtung. Wiederum leicht. – Ich ende
mit sieben kleineren Schnitten, einer neben dem andern, denn es ist doch
recht dunkel, um genau zu arbeiten. – Gerade gucke ich noch mal nach,
kann aber die Narben nicht mehr entdecken. Muss mich wohl mal waschen
gehen. – Jedenfalls sind wir endlich alle verschworene, beschnittene,
blutende Indianer auf dem schweigsamen Pfad ins Bett und in die Zukunft.
Diesen
Nachtausflug haben wir nicht wieder wiederholt. War ja auch nicht mehr
nötig. Hatten wir uns doch bewiesen aus welchem Holz wir geschnitzt
waren, und Stolz schwellte im Geheimen in unseren jungen Hühnerbrüsten.
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So richtig finde ich diese "Steile Wand"
nicht ... es gibt die Wolfsschlucht ...
Wolfsschlucht Neubeuern
Guggel: "Wolfsschlucht
Neubeuern"
... sowie den
Mühlsteinbruch Hinterhör in Altenbeuern ..
... sowie einen Sandsteinbruch:
Beschreibung aller drei |
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