Ich
verlasse Kreyenbrück, aber nur, um später wieder dorthin zurückzukehren
– die Kaserne war und
ist für uns F. alle von großer Erfahrung und Wichtigkeit.
Nicht all
zu lange nachdem wir dort angelangt waren, wurde beschlossen
– ich weiß nicht wie
und von wem –, dass
man mich gerne "loswerden" wolle. Wirklich, ich weiß nicht, wie es
geschah. Habe gestern mit Hans darüber gesprochen, denn ich dachte mir
schon, dass er es war, der mich in der Fremde aussetzte!! Er erinnerte
sich mit Freuden daran, und das auch ganz genau. Nein nein! Er war kein
Schweinehund. Die sind mit dem Dritten Reich ausgestorben…
Ich habe
Ihn also gebeten und eingeladen, eine erklärende Replik meinem
Geschreibsel beizufügen. Was er ganz sicher in liebenswerter Weise und
Wortgewandtheit tun wird.
Also, wie
angedeutet, ich wurde ausgestoßen aus dem Kreise meiner Familie.
irgendwie zur Erholung verschickt. Jemand hatte das Geld dafür
gestiftet.
Ob da
Aufregung war, Angst und Sorge?? Alles vergessen. Meine Erinnerung setzt
erst wieder ein, als ich neben meinem großen Bruder Hans eingequetscht
zwischen Gepäck und anderen Leuten in einem ganz alten, klapperigen
Zugabteil stand –
aber nein, nicht im Abteil! Im Gang vor dem Abort. Ihr könnt euch denken
wie selbige aussahen und wie sie benutzt wurden bei hunderten von
Reisenden im heruntergekommenen Nachkriegszug während einer Reise von
Oldenburg nach Neubeuern am Inn. Zudem waren da nicht mal richtige
Fenster in unserem Wagon. 4 mm Sperrholz mit einem kleinen, 25 x 25 cm
Plexiglas in Kopfhöhe eingeklebt!!!!!!
Schöne
Scheiße, und nicht nur im Abort!
Wir
standen so eng gedrängt, dass man sich nicht mal richtig auf seinen
Koffer setzen konnte, und wenn doch mal, dann wurde man durch den
entsetzlichen Andrang zum Klo immer wieder herumgeschubst. Es war ein
recht furchtvolles Erlebnis in der neuen großen Welt. Es erinnerte doch
sehr an unsere Ausweisung aus Polen. Man kann sich natürlich nicht
beklagen. Waren da doch nur ganz wenige Züge einsatzbereit und willig,
kaum drei Jahre nach der Kapitulation und Hitlers bitterem Ende.
– Doch wir überlebten
die Reise. Man gerade sooo!
Hans
lieferte mich ab. Wie, das wird er berichten. Hatte er doch vier Jahre
mehr auf dem Buckel und war ja schon immer ein "liebenswerter
Klugscheißer." Danke Hans!!
Ich kam
also zum "Schloss Neubeuern" am Inn bei Rosenheim, nicht fern vom
Chiemsee. Im Internet ist eine riesige, interessante Menge drüber zu
erfahren. Es ist jetzt eine ganz große Heimschule für "Großkopferte",
sehr schön angelegt und gebaut und sicher eine Pracht.
Ich will
berichten, wie ich die Zeit im Schloss es empfand und erlebte. Eine sehr
wichtige Zeit in meinem kurzen Leben.
Das
Schloss liegt oben auf einem nicht kleinen Hügel, die Front nach Süden,
nahe dem steilen Abhang. Hinter dem Schloss verläuft der Hügel auf
gleicher Höhe noch eine beträchtliche Länge in nördlicher Richtung.
Dieses Plateau ist ungefähr 200 Meter breit, denke ich. Bewaldet. Nach
vielleicht 300 Metern ist der Hügel von einer tiefen, steilen Schlucht
in westöstlicher Richtung durchschnitten. Das ist die "Wolfs-Schlucht",
von der noch manches zu berichten ist.
Das
Schloss ist langgestreckt und alles andere als klein. Es hat einen West-
und einen Ostflügel und einen ganz beachtlichen Mittelbau mit großer,
überdachter Terrasse. Vor dem Ostflügel steht ein wunderbarer
alter Römerturm mit winzigen Schießscharten. Wenigstens 20 Meter hoch
und vielleicht 6 Meter im Geviert mit flachem Dach und Zinnen. Die
Dohlen, diese wunderschönen schwarzen Vögel mit ihren klaren
wasserblauen Augen, sind die Bewohner des Turms. Nie werde ich ihre
Schreie vergessen. Er ist herzerwärmend. Sie kreisen um den Turm in
Schwaden und kreischen, besonders am Morgen. Eine wunderbare Musik.
Ich werde
nicht das ganze Schloss beschreiben
– es hat eine große
Geschichte. In meinen Tagen dort zeugte vieles noch von "großen"
Tagen: Futterkrippen aus Marmor und eingezäunte Boxen. Ehemaliger
Reichtum und Nachkriegsverfall. Nicht dass es ausgebombt oder
zerschossen war, doch viele Fenster waren zerbrochen, Regenwasser war
eingedrungen und es muss wohl auch Plünderungen gegeben haben. Vieles
musste repariert werden.
Als ich
nach Neubeuern kam, als "Kurgast" zur Erholung, war der Beschluss schon
gefasst, dass das Schloss wieder eine Heimschule werden sollte. Einige
künftige Lehrer waren schon da. Auch ein Koch und einige Arbeiter
schwirrten ums und durchs Haus.
Da war
auch schon ein Schüler an Bord. Er war vielleicht 16 Jahre alt und hieß,
glaube ich, Frank. Ein schweigsam spröder Geselle, dachte ich damals.
Werde von ihm noch zu berichten haben.
Die ersten
Tage passierte nicht viel. Ich strolchte über den ganzen Berg und
hinunter in das wunderschöne Dorf am Fuße des Hügels unterhalb des
Schlosses. Ein breiter gebogener Kiesweg führte von dort hinunter, so
dass man leicht in einer Viertelstunde das Dorf erreichte.
Vor dem
Schloss, in südlicher Richtung, liegt ein wirklich großes Tal, wie eine
weite Schale, umgrenzt mit richtig hohen Alpenbergen mit Schnee oben
drauf und allem drum und dran. An der linken Seite des Tales krochen
einige kleinere Höhen näher ans Schloss heran, so dass man ihre
Flanken mit bloßem Auge überblicken konnte.
Durch die
Mitte des Tales, das, ich weiß nicht wie weit entfernt, vielleicht 10
bis 15 km, fließt ein reißender Fluss, der Inn! Wenn ich sage reißender,
dann meine ich das auch so. Er ist mit etwa einem Meter sehr flach und
ungefähr 40 Meter breit. Er kommt aus den Bergen, ist glasklar mit einer
aquamarinen Tönung.
Wenn man
am Ufer steht und flussaufwärts schaut, dabei den rechten Fuß fahrlässig
ins Wasser hält, dann ist die Strömung so stark, dass sie einem das Bein
hochschleudert und man sich durch den Schwung selber in den Hintern
tritt. Macht man das Gleiche mit der Hand, bekommt man eine Watschen.
– Ein ganz
gefährlicher Fluss. Selbst wenn man schwimmen kann ist man in dem
flachen Wasser verloren. Das Wasser reicht einem vielleicht gerade bis
zum Hintern, doch man kann sich nicht halten. Niemals wieder habe ich
Wasser so schnell fließen gesehen.
In alten
Zeiten wurde der Inn mit großen, flachen Kähnen beschifft, die
blitzschnell den Fluss herunterschossen. Sie hatten lange Steuerruder
und es war eine hohe Kunst, sie zu steuern. Am Fluss führten Pferdewege
entlang, denn flussaufwärts wurden die Kähne von Pferden gezogen.
Wehrend
meiner Zeit in Neubeuern hatte man einen solchen Kahn für das Museum in
Rosenheim, das ja auch direkt am Inn liegt, nachgebaut. Eines Sonntags
wurde dieser mit etlichen Leuten, auch Kindern, beladen, um unter Juchhe
nach Rosenheim zu schippern. Gleich hinter Neubeuern befindet sich aber
eine Brücke mit Pfeilern. Die Bootsleute waren unerfahren. Der Kahn
trieb quer und prallte mit solcher Wucht gegen die Brückenpfeiler, dass
der Nachen aus dickem Holz wie nichts zerschmetterte. Alle Insassen
kamen um. Ja, dass war eine schlimme Geschichte und ein großes Begräbnis
mit viel Trauer.
Zurück ins
Schloss. Ich war ganz allein im Ostflügel untergebracht. Ein großer
Raum, nur mit meinem Feldbett, einem Hocker und einem einsamen
Kerzenhalter mit Kerze sowie Streichhölzern.
Niemand
sonst lebte im Ostflügel, denn Schüler waren noch keine da und für diese
war der Block ja vorgesehen. Später: Ungefähr zehn Jungen in dem
gleichen Raum. Bett an Bett. Ich aber war ganz allen und hätte ich im
Bett Hosen angehabt, wären die wohl öfter voll gewesen. Da klapperte
es durch den Wind im ganzen Haus. Dunkel war es. Viele Fenster und auch
Türen kamen ihrer Pflicht nicht nach. Oft waren sie überhaupt nicht
vorhanden.
Oh ja, ich
hatte nächtliche Angst und mit Grund, denn was denkt man nicht so alles,
mit dem Kopf unter der Armeedecke, eingeschlossen von erbarmungsloser
Finsternis und unheimlichen Geräuschen!!
Es stammt
aus dieser Zeit, dass ich keine Furcht im Wald, im Freien, oder
überhaupt habe, doch insbesondere großen Häusern, auch Amtsgebäuden,
überkommt mich immer noch recht leicht das Gruseln.
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14.02.2009
Hans F.
Mit Gottfried nach Neubeuern
Wir lernten über einen mit uns
befreundeten Regisseur einen Kinderbuchverleger aus Nussdorf in
Oberbayern nahe bei Rosenheim kennen. Wie auch immer es dazu kam, kann
ich nicht sagen: Der Mann war ein Mäzen, gleichzeitig hatte er ein
bisschen einen Narren gefressen an Irma Ella in Verbindung mit ihren
zahllosen "wunderbaren" Kindern! Wie auch immer: Er schlug vor, auf
seine Kosten uns den Gottfried für ein Jahr "abzunehmen" und ihn auf
Schloss Neubeuern in der Nähe von Nussdorf zu "kasernieren", verbunden
mit unser aller Hoffnung, "dass doch noch etwas aus ihm werden werde!"
Und so geschah es: Ich hatte die Aufgabe,
den "Kleinen" per Zug nach Bayern zu transportieren. Die Zugwagen von
damals kann sich niemand vorstellen, der sie nicht auch erlebt hat! Mit
Sperrholz verschlossene Fensteröffnungen, mit ofenrohrdurchmessergroßen
Licht- und Luftlöchern, dahin kriechende, total überfüllte Waggons. –
Ich habe gerade im Radio gehört, dass an einem ganz besonderen Feiertag
alle Chinesen zu ihren Geburtsstätten reisen müssten. Die Züge seien
dann dermaßen überfüllt, dass für kaum einen die Möglichkeit bestünde,
eine Toilette aufzusuchen. Und dass aus diesen Gründen die Frauen mit
Windelvorräten in den Hosen und die Männer mit Plastikflaschen bewaffnet
versuchen in die Züge zu kommen.
In diesem Zusammenhang muss ich von
dieser Reise mit Gottfried etwas erzählen. Wie gesagt, man konnte nur dicht
gedrängt stehend im Norden losfahren. Ich hatte ja einige Erfahrung im
sich "gute Nachbarn" auszusuchen – ich erinnere an meine Busfahrten mit Pekol zur Schule. Jedenfalls, wir beide standen dicht zusammengedrängt,
von rechts und links regelrecht zusammengeschmolzen, mit einem etwa
gleichaltrigen, sehr hübschen Mädchen. Wir gelangten erst im Laufe der
Fahrt zielstrebig immer näher an sie heran. Ich muss gestehen: Wir
Brüder hatten schon damals "ähnliche Geschmäcker"! Es wurde viel
gesprochen und viel "gemocht!" Wir bedauerten daher sehr, als sie sich
mühsam schon weit vor der Ankunft in Augsburg den Weg zum Ausgang
"erkämpfte". Als wir sie mit den Augen verfolgend erstmals zur
"Gänze"
auf dem Bahnsteig erblickten, kühlte unser Begehren etwas ab: Sie war
von ausgesprochen birnenförmiger Statur! Aber oben und auch innen war
sie regelrecht schön!
Wir kamen in Nussdorf an. Dieser Herr
Verleger, ich glaube, er hieß Rothe, wohnte in einem riesengroßen
bayrischen Anwesen, so mit Bedienung beim Essen für jeden "jungen
Herrn" (das waren wir!), ein Zimmer mit Paradekissen und vorgewärmten
Bett! Dort wohnten wir ein paar Tage, bis alle Internatsschüler zum
Schulbeginn zurückgekehrt waren. Und dann begab sich das "nichtsnutze
Flüchtlingskind" aus dem hohen Norden ins Internat nach Neubeuern. Trotz
allem machte er neben all den vielen, mehr oder minder mit wohlhabenden
Eltern behafteten Jüngelchen einen guten Eindruck!
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