Lebensberichte und Familienchroniken

Gottfried F.

Von Zoppot nach Australien - in vielen Schritten

02.02.2009

 

 

Nana Glen, Australien

Neubeuern 1948 - 1949 Teil I

Es hat geregnet in der Nacht, noch hängen Wolken am Himmel. Die Sonne kämpft ihren Morgenkampf, ihre Strahlen schießen hernieder. Alles glitzert und alles prangt. Auch ich schüttele mein Gefieder.

Meine Hunde halten an jedem Strauch und Baum. Für sie ist das ihr erfüllter Traum. Möchte wohl wissen wie kann jemand so viel pissen. Ich kann es ihnen jedoch nicht verbieten. Treuherzig folge ich ihren Riten.

Also Ihr Alle! Ich packe meinen kleinen Spaten, um im Keller meiner Erinnerung nach Schätzen zu graben.

 

Ich verlasse Kreyenbrück, aber nur, um später wieder dorthin zurückzukehren die Kaserne war und ist für uns F. alle von großer Erfahrung und Wichtigkeit.

Nicht all zu lange nachdem wir dort angelangt waren, wurde beschlossen ich weiß nicht wie und von wem , dass man mich gerne "loswerden" wolle. Wirklich, ich weiß nicht, wie es geschah. Habe gestern mit Hans darüber gesprochen, denn ich dachte mir schon, dass er es war, der mich in der Fremde aussetzte!! Er erinnerte sich mit Freuden daran, und das auch ganz genau. Nein nein! Er war kein Schweinehund. Die sind mit dem Dritten Reich ausgestorben…

Ich habe Ihn also gebeten und eingeladen, eine erklärende Replik meinem Geschreibsel beizufügen. Was er ganz sicher in liebenswerter Weise und Wortgewandtheit tun wird.

Also, wie angedeutet, ich wurde ausgestoßen aus dem Kreise meiner Familie. irgendwie zur Erholung verschickt. Jemand hatte das Geld dafür gestiftet.

Ob da Aufregung war, Angst und Sorge?? Alles vergessen. Meine Erinnerung setzt erst wieder ein, als ich neben meinem großen Bruder Hans eingequetscht zwischen Gepäck und anderen Leuten in einem ganz alten, klapperigen Zugabteil stand aber nein, nicht im Abteil! Im Gang vor dem Abort. Ihr könnt euch denken wie selbige aussahen und wie sie benutzt wurden bei hunderten von Reisenden im heruntergekommenen Nachkriegszug während einer Reise von Oldenburg nach Neubeuern am Inn. Zudem waren da nicht mal richtige Fenster in unserem Wagon. 4 mm Sperrholz mit einem kleinen, 25 x 25 cm Plexiglas in Kopfhöhe eingeklebt!!!!!!

Schöne Scheiße, und nicht nur im Abort!

Wir standen so eng gedrängt, dass man sich nicht mal richtig auf seinen Koffer setzen konnte, und wenn doch mal, dann wurde man durch den entsetzlichen Andrang zum Klo immer wieder herumgeschubst. Es war ein recht furchtvolles Erlebnis in der neuen großen Welt. Es erinnerte doch sehr an unsere Ausweisung aus Polen. Man kann sich natürlich nicht beklagen. Waren da doch nur ganz wenige Züge einsatzbereit und willig, kaum drei Jahre nach der Kapitulation und Hitlers bitterem Ende. Doch wir überlebten die Reise. Man gerade sooo!

Hans lieferte mich ab. Wie, das wird er berichten. Hatte er doch vier Jahre mehr auf dem Buckel und war ja schon immer ein "liebenswerter Klugscheißer." Danke Hans!!

Ich kam also zum "Schloss Neubeuern" am Inn bei Rosenheim, nicht fern vom Chiemsee. Im Internet ist eine riesige, interessante Menge drüber zu erfahren. Es ist jetzt eine ganz große Heimschule für "Großkopferte", sehr schön angelegt und gebaut und sicher eine Pracht.

Ich will berichten, wie ich die Zeit im Schloss es empfand und erlebte. Eine sehr wichtige Zeit in meinem kurzen Leben.

Das Schloss liegt oben auf einem nicht kleinen Hügel, die Front nach Süden, nahe dem steilen Abhang. Hinter dem Schloss verläuft der Hügel auf gleicher Höhe noch eine beträchtliche Länge in nördlicher Richtung. Dieses Plateau ist ungefähr 200 Meter breit, denke ich. Bewaldet. Nach vielleicht 300 Metern ist der Hügel von einer tiefen, steilen Schlucht in westöstlicher Richtung durchschnitten. Das ist die "Wolfs-Schlucht", von der noch manches zu berichten ist.

Das Schloss ist langgestreckt und alles andere als klein. Es hat einen West- und einen Ostflügel und einen ganz beachtlichen Mittelbau mit großer, überdachter Terrasse. Vor dem Ostflügel steht ein wunderbarer alter Römerturm mit winzigen Schießscharten. Wenigstens 20 Meter hoch und vielleicht 6 Meter im Geviert mit flachem Dach und Zinnen. Die Dohlen, diese wunderschönen schwarzen Vögel mit ihren klaren wasserblauen Augen, sind die Bewohner des Turms. Nie werde ich ihre Schreie vergessen. Er ist herzerwärmend. Sie kreisen um den Turm in Schwaden und kreischen, besonders am Morgen. Eine wunderbare Musik.

Ich werde nicht das ganze Schloss beschreiben es hat eine große Geschichte. In meinen Tagen dort zeugte vieles noch von "großen" Tagen: Futterkrippen aus Marmor und eingezäunte Boxen. Ehemaliger Reichtum und Nachkriegsverfall. Nicht dass es ausgebombt oder zerschossen war, doch viele Fenster waren zerbrochen, Regenwasser war eingedrungen und es muss wohl auch Plünderungen gegeben haben. Vieles musste repariert werden.

Als ich nach Neubeuern kam, als "Kurgast" zur Erholung, war der Beschluss schon gefasst, dass das Schloss wieder eine Heimschule werden sollte. Einige künftige Lehrer waren schon da. Auch ein Koch und einige Arbeiter schwirrten ums und durchs Haus.

Da war auch schon ein Schüler an Bord. Er war vielleicht 16 Jahre alt und hieß, glaube ich, Frank. Ein schweigsam spröder Geselle, dachte ich damals. Werde von ihm noch zu berichten haben.

Die ersten Tage passierte nicht viel. Ich strolchte über den ganzen Berg und hinunter in das wunderschöne Dorf am Fuße des Hügels unterhalb des Schlosses. Ein breiter gebogener Kiesweg führte von dort hinunter, so dass man leicht in einer Viertelstunde das Dorf erreichte.

Vor dem Schloss, in südlicher Richtung, liegt ein wirklich großes Tal, wie eine weite Schale, umgrenzt mit richtig hohen Alpenbergen mit Schnee oben drauf und allem drum und dran. An der linken Seite des Tales krochen einige kleinere Höhen näher ans Schloss heran, so dass man ihre Flanken mit bloßem Auge überblicken konnte.

Durch die Mitte des Tales, das, ich weiß nicht wie weit entfernt, vielleicht 10 bis 15 km, fließt ein reißender Fluss, der Inn! Wenn ich sage reißender, dann meine ich das auch so. Er ist mit etwa einem Meter sehr flach und ungefähr 40 Meter breit. Er kommt aus den Bergen, ist glasklar mit einer aquamarinen Tönung.

Wenn man am Ufer steht und flussaufwärts schaut, dabei den rechten Fuß fahrlässig ins Wasser hält, dann ist die Strömung so stark, dass sie einem das Bein hochschleudert und man sich durch den Schwung selber in den Hintern tritt. Macht man das Gleiche mit der Hand, bekommt man eine Watschen. Ein ganz gefährlicher Fluss. Selbst wenn man schwimmen kann ist man in dem flachen Wasser verloren. Das Wasser reicht einem vielleicht gerade bis zum Hintern, doch man kann sich nicht halten. Niemals wieder habe ich Wasser so schnell fließen gesehen.

In alten Zeiten wurde der Inn mit großen, flachen Kähnen beschifft, die blitzschnell den Fluss herunterschossen. Sie hatten lange Steuerruder und es war eine hohe Kunst, sie zu steuern. Am Fluss führten Pferdewege entlang, denn flussaufwärts wurden die Kähne von Pferden gezogen.

Wehrend meiner Zeit in Neubeuern hatte man einen solchen Kahn für das Museum in Rosenheim, das ja auch direkt am Inn liegt, nachgebaut. Eines Sonntags wurde dieser mit etlichen Leuten, auch Kindern, beladen, um unter Juchhe nach Rosenheim zu schippern. Gleich hinter Neubeuern befindet sich aber eine Brücke mit Pfeilern. Die Bootsleute waren unerfahren. Der Kahn trieb quer und prallte mit solcher Wucht gegen die Brückenpfeiler, dass der Nachen aus dickem Holz wie nichts zerschmetterte. Alle Insassen kamen um. Ja, dass war eine schlimme Geschichte und ein großes Begräbnis mit viel Trauer.

Zurück ins Schloss. Ich war ganz allein im Ostflügel untergebracht. Ein großer Raum, nur mit meinem Feldbett, einem Hocker und einem einsamen Kerzenhalter mit Kerze sowie Streichhölzern.

Niemand sonst lebte im Ostflügel, denn Schüler waren noch keine da und für diese war der Block ja vorgesehen. Später: Ungefähr zehn Jungen in dem gleichen Raum. Bett an Bett. Ich aber war ganz allen und hätte ich im Bett Hosen angehabt, wären die wohl öfter voll gewesen. Da klapperte es durch den Wind im ganzen Haus. Dunkel war es. Viele Fenster und auch Türen kamen ihrer Pflicht nicht nach. Oft waren sie überhaupt nicht vorhanden.

Oh ja, ich hatte nächtliche Angst und mit Grund, denn was denkt man nicht so alles, mit dem Kopf unter der Armeedecke, eingeschlossen von erbarmungsloser Finsternis und unheimlichen Geräuschen!!

Es stammt aus dieser Zeit, dass ich keine Furcht im Wald, im Freien, oder überhaupt habe, doch insbesondere großen Häusern, auch Amtsgebäuden, überkommt mich immer noch recht leicht das Gruseln.
 

14.02.2009

Hans F.

Mit Gottfried nach Neubeuern

Wir lernten über einen mit uns befreundeten Regisseur einen Kinderbuchverleger aus Nussdorf in Oberbayern nahe bei Rosenheim kennen. Wie auch immer es dazu kam, kann ich nicht sagen: Der Mann war ein Mäzen, gleichzeitig hatte er ein bisschen einen Narren gefressen an Irma Ella in Verbindung mit ihren zahllosen "wunderbaren" Kindern! Wie auch immer: Er schlug vor, auf seine Kosten uns den Gottfried für ein Jahr "abzunehmen" und ihn auf Schloss Neubeuern in der Nähe von Nussdorf zu "kasernieren", verbunden mit unser aller Hoffnung, "dass doch noch etwas aus ihm werden werde!"

Und so geschah es: Ich hatte die Aufgabe, den "Kleinen" per Zug nach Bayern zu transportieren. Die Zugwagen von damals kann sich niemand vorstellen, der sie nicht auch erlebt hat! Mit Sperrholz verschlossene Fensteröffnungen, mit ofenrohrdurchmessergroßen Licht- und Luftlöchern, dahin kriechende, total überfüllte Waggons. – Ich habe gerade im Radio gehört, dass an einem ganz besonderen Feiertag alle Chinesen zu ihren Geburtsstätten reisen müssten. Die Züge seien dann dermaßen überfüllt, dass für kaum einen die Möglichkeit bestünde, eine Toilette aufzusuchen. Und dass aus diesen Gründen die Frauen mit Windelvorräten in den Hosen und die Männer mit Plastikflaschen bewaffnet versuchen in die Züge zu kommen.

In diesem Zusammenhang muss ich von dieser Reise mit Gottfried etwas erzählen. Wie gesagt, man konnte nur dicht gedrängt stehend im Norden losfahren. Ich hatte ja einige Erfahrung im sich "gute Nachbarn" auszusuchen – ich erinnere an meine Busfahrten mit Pekol zur Schule. Jedenfalls, wir beide standen dicht zusammengedrängt, von rechts und links regelrecht zusammengeschmolzen, mit einem etwa gleichaltrigen, sehr hübschen Mädchen. Wir gelangten erst im Laufe der Fahrt zielstrebig immer näher an sie heran. Ich muss gestehen: Wir Brüder hatten schon damals "ähnliche Geschmäcker"! Es wurde viel gesprochen und viel "gemocht!" Wir bedauerten daher sehr, als sie sich mühsam schon weit vor der Ankunft in Augsburg den Weg zum Ausgang "erkämpfte". Als wir sie mit den Augen verfolgend erstmals zur "Gänze" auf dem Bahnsteig erblickten, kühlte unser Begehren etwas ab: Sie war von ausgesprochen birnenförmiger Statur! Aber oben und auch innen war sie regelrecht schön!

Wir kamen in Nussdorf an. Dieser Herr Verleger, ich glaube, er hieß Rothe, wohnte in einem riesengroßen bayrischen Anwesen, so mit Bedienung beim Essen für jeden "jungen Herrn" (das waren wir!), ein Zimmer mit Paradekissen und vorgewärmten Bett! Dort wohnten wir ein paar Tage, bis alle Internatsschüler zum Schulbeginn zurückgekehrt waren. Und dann begab sich das "nichtsnutze Flüchtlingskind" aus dem hohen Norden ins Internat nach Neubeuern. Trotz allem machte er neben all den vielen, mehr oder minder mit wohlhabenden Eltern behafteten Jüngelchen einen guten Eindruck!


Wkipedia Neubeuern

Wikipedia Schloss Neubeuern

Internatsschule Schloss Neubeuern