Lebensberichte und Familienchroniken

Gottfried F.

Von Zoppot nach Australien - in vielen Schritten

13.01.2009

 

 

Nana Glen, Australien

Kreyenbrück

Da sind wir nun in der Kreyenbrücker Hindenburg-Kaserne abgeliefert und angekommen.

Wie und wann das passiert ist, kann ich beim besten Willen nicht sagen, doch glaube und hoffe ich, dass auch Hans sich daran klemmt und das Bild mit seinem großen Pinsel und gewohnter Wortgewandtheit in den richtigen Rahmen setzt.

Ich gehe also meinen Weg. Der ist aber sehr schmal. Ich taste, ich taste ....! Da waren also 12 Kasernengebäude. Eines davon war ausgebombt, glaube ich. Auch bin ich mir nicht sicher, welche Nummer unser Block hatte. Nummer 4. denke ich. Doch was macht das schon aus. Die waren ja fast alle gleich. Fast, denn da waren doch gewisse Abweichungen, auf die einzugehen sein wird.

Ich glaube, jedes Gebäude war 35 bis 40 Meter lang, hatte drei Etagen und einen ausgebauten Dachboden, wo wir einen eingezäunten Teil als Lagerraum zugeteilt bekamen. Habe ich da nicht in irgendeinem Bericht gelesen, dass Irma Ella dieses Dachgefilde auch als Folterkammer benutzte, um Eckardt die Hosen stramm zu ziehen?! Er wird schon darauf zurückkommen, wenn er und es so war.

Wir bekamen drei Zimmer im ersten Stock. Der Zugang war über eine breite Zickzacktreppe an der linken Seite des langen, dunklen Flures. Nur am rechten Ende desselben befand sich ein nicht sehr großes Fenster, das einem die Richtung zur Toilette und dem einzigen Wasserhahn auf dem Korridor wies. Rechts vom Fenster ging eine Tür zu einem schmalen Vorraum, an dessen Ende zwei Klos waren. Jedes mit einer eigenen Tür und getrennt durch eine dünne Holzwand. In diese hatte man in gewisser Höhe kleine Löcher gebohrt zwecks besserer Beobachtung des Geschehens auf der jeweiligen anderen Seite. Immer wieder wurden sie mit Zeitungspapier zugestopft, doch wie gesagt immer wieder.

Rechts neben der Klotür führte eine weitere in einen länglichen Waschraum, in dem man sich nicht waschen durfte. Es war der einzige Raum mit fließendem Wasser für das ganze Geschoss.

Ich weiß nicht mehr wie viele Leutchen wir da so waren. Auch habe ich keine Ahnung mehr, wie viele Zimmer jeder Flur hatte. Jedenfalls musste jeder sein Wasser hinter der linken Tür "abschlagen" und hinter der Rechten es sich abzapfen. In Kannen, Eimern oder was immer man hatte, und das war sehr wenig. Im halbdunklen Gang musste man das Wasser zu seiner Höhle schleppen. Das war gar nicht so leicht, erfolgte dafür aber sehr oft. Natürlich gab es in keinem der Zimmer einen Ausguss. Das bedeutete, dass man das nicht getrunkene, jedoch verbrauchte Wasser auch wieder zurückschleppen musste, um es weggießen zu können.

Alle Jungen, außer Baby Eckardt , waren an diesem Geschäft beteiligt. Nie sehr gerne.

Unsere Räume lagen ungefähr in der Mitte des Flures. Wir hatten zwei längliche Soldatenstuben, vielleicht drei Meter breit und fünf Meter lang, mit einer Tür zum Gang, und einem nicht zu kleinen Fenster auf der anderen Seite. Ich glaube, als wir einzogen war da keine Verbindungstür zwischen den Zimmern. Man musste immer hinaus über den großen Flur, um ins nächste Zimmer zu schlüpfen. Selbst nackt und bloß.

Der dritte Raum war ein recht großer, den wir nur bekamen, weil wir doch so verdammt kinderreich waren etwas, das uns in der Zukunft noch oft mehr geholfen denn geschadet hat.

Also ja, dieser Raum war vielleicht 5 mal 5 Meter groß. Er hatte einen gekachelten Boden und auch die Wände waren bis zu einer bestimmten Höhe gekachelt. Da waren mal Waschbecken gewesen und wohl auch Duschen, doch davon war nichts mehr da. Auch kein Wasserabfluss. Alles war ausgeschlachtet. Der Raum hatte wenigsten zwei normale Kasernenfenster, die den Raum gut ausleuchteten.

Vom Staat waren uns Militärstockwerksbetten zugeteilt, mit Strohsäcken glaube ich, bin mir aber nicht mehr sicher.

Wir vier älteren Jungen hatten dieses "Badezimmer" für uns, zusammen mit dem ganzen Krempel, der sich so im Laufe der Zeit angesammelte und der auch ständig wuchs.

Von den kleineren Zimmern wurde eines von Oma Müller, Irma Ella, Christiane, Gudrun und Eckardt behaust. Nicht gerade ein Paradies, denke ich. 

Das andere Kleine war Küche und Wohnzimmer. Außerdem stand dort auch unser Wasserdepot. Sehr sparsam war die Ausstattung mit Möbeln, fast kaum vorhanden. Am Anfang jedenfalls.

Es gab einen Hocker auf dem eine Holzschüssel stand. Eine Schüssel aus gepresstem Furnier mit Kunstharzen. Unzerbrechlich und unentbehrlich. Denn sie war für lange Zeit die Waschschüssel für uns alle, mit der Wasserkanne daneben fürs gute, und eine weitere fürs gebrauchte Wasser.

Ich weiß nicht mehr, worauf wir saßen und wo und was wir aßen, doch mit der Zeit läpperte es sich. Wir ergatterten, von wo auch immer, einige gebrauchte Möbel, erfanden wohl auch geniale Sachen, um das Leben erträglich zu machen. Im Grossen und Ganzen gelang es uns auch. Omchen war die Seele des Hauses. Sie war eine furchtbar liebe und geliebte Großmutter. Sie, wie auch Irma Ella, kamen aus dem ganzen Nachkriegsdrama mit fliegenden Fahnen heraus und ans Licht.

Hier wurde ich gerade von Eckardt unterbrochen, der mich aus Amerika anrief. Einfach mal so. Er bestätigte mir, dass er es war, der mit dem Teppichklopfer und an Irma Ellas Hand ER trug das Folterinstrument auf den Dachboden steigen durfte. Der Bestrafung wegen, wo er dann empfing eine gehörige Solche. Bin nun ein wenig aus der Bahn geworfen und werde mal ’ne Pause machen.
 

 

 

Siehe zu den Flüchtlingen in der Hindenburg Kaserne von Kreyenbrück Joachim Engelmann: Lebensstation Kreyenbrück,
Aus der Geschichte der Oldenburger Hindenburg-Kaserne, Oldenburg, 1995

Die Alliierten brachten brachten nach Kriegsende in der Hindenburg Kaserne zuerst "Displaced Persons" (DP) unter, ehemalige Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter, KZ-Häftlinge. Die aus westlichen Ländern Stammenden kehrten im Laufe des Jahres 1945 in ihre Heimatländer zurück. Problematischer war dies mit solchen aus dem Osten, Russen, Letten, etc. - Siehe Andreas Lembeck: Leben im Transit.

Hindenburg-Kaserne nach dem 2. Weltkrieg

In der Kaserne wohnten vom Clan drei Familien, insgesamt 19 Personen