Lebensberichte und Familienchroniken

Gottfried F.

Von Zoppot nach Australien - in vielen Schritten

11.01.2009

 

 

Nana Glen, Australien

Bei Ammers in Oldenburg

Also, Leute, nach all den guten Gedanken und Wünschen für dieses schon "angebrauchte Jahr", will ich erklären, warum ich so lange nicht schrieb und schreiben konnte.

Schuld daran hat unsere augenblickliche Regierung. Sie versprach und gab jedem Rentner einen Bonus von 1.400,00 Dollar zu Weihnachten, mit der Aufforderung, diese so schnell wie möglich auszugeben, um die Weltwirtschaft und unsere zu retten. Das war der Ankerpunkt meines langen Schweigens, denn …

Ich will mich nun also am Riemen reißen und die düsteren Pfade von Berlin nach Oldenburg i/O, der Hauptstadt meiner mittleren Jugendzeit, nachzuwandern versuchen.

Wie schon angedeutet, verblassten meine Erinnerungen von Berlin gegen Ende meines letzten Berichts, doch hat Hans ja noch eine ganze Menge dazu beigefügt mit Ereignissen, die mir völlig abhanden gekommen waren. Wie ihr alle, so bin auch ich ihm dankbar dafür!

Auf einmal sehe ich uns alle in Oldenburg! Wie kam es nur dazu?

Da war also Onkel Horst Rudolf, der sich unserer Familie sehr angenommen hat. Erstmal hatte er uns im Berliner Lager entdeckt, aufgefunden. Das war sicher nicht leicht in jenen Tagen. Zu Hilfe kam der Beschluss der Besatzungsmächte Amerikaner, Russen, Franzosen, Engländer –, dass kein Bürger seinen derzeitigen Standort wechseln durfte ohne einen überzeugenden Grund und den Nachweis einer anerkannten neuen Adresse. Klingt das nicht beinahe wie Kafkas Beamtendeutsch?!

Nun, Onkel Horst Rudolf fand heraus wo wir waren, und statt uns da versauern zu lassen, setzte er alle Hebel in Bewegung davon hatte er wohl einige um unsere ganz Bagage dem Lagerleben zu entreißen und zu sich, das heißt, nach Oldenburg holen, der Stadt, in die es ihn selber nach dem Krieg verschlagen und in der er schon seine eigenen Wurzeln gebettet hatte.

Horst hatte dort für eine ganze Weile bei Frau Ammer in ihrer ziemlich großen Wohnung zur Miete gewohnt. Da waren auch ihre beiden heiratsfähigen Töchter, die das Heiraten denn ja auch wohl recht gerne getan hätten. Nicht viele Männer gab es in der Zeit, die frei waren und den Mut dazu hatten, solches zu tun. Auch der gute Onkel war dagegen und zog aus.

Doch war ihm erlaubt, seiner buckligen Verwandtschaft (uns) für eine begrenzte Zeit Unterkunft und somit eine eigene Adresse zu verschaffen.

Ich frage mich, ob ihm das ohne die liebevollen / liebestollen Töchter jemals gelungen wäre. Auch denen gebührt die Ehre, wenn auch aus zweifelhaften Gründen, uns "gerettet" zu haben.

Vergesst nicht, wir könnten noch heute im Lager hausen, wenn es nicht schon lange abgerissen wäre …

Dank also, Frau Ammer, ihren Töchtern, doch ganz besonders Onkel Horst Rudolf, dem es sicher erging wie Odysseus, der sich an des Schiffes Mast fesseln musste, um der Sirene und ihrem Gesang zu entkommen ... Denn gesagt muss es sein, dass Klara, die eine der Schönen, auf den Erfolg ihrer Stimme baute und Gesangsstunden nahm.

Nie werde ich das Getriller der immer gleichen Töne vergessen und den für mich recht unbegreiflichen Text: "Auf der hellen Linnnnhinnken, tausend schwebende Stern-ne-ne, sehe ich dort blin-nin-ken, tun mir freundlich win-nin-ken …!" Das war es so ungefähr, und wurde über und über wiederholt. Was denn ja auch nötig ist, um überall richtig durchzudringen. Auch wenn man nicht die Stimme dazu hat.

Es war jedoch eine große und gute Tat, die die aufopfernde Familie Ammer uns darbrachte.

Bedenkt! Eine nicht kleine bürgerliche Wohnung mit dunklen, polierten Möbeln. Glasvitrinen, Geschirr, Sauberkeit, Förmlichkeit, aus tiefem Frieden auf einmal von einem noch kürzlich verlausten Menschenhaufen überrannt zu werden. Nämlich von einer Großmutter, einer Mutter, 5 Jungen und 2 Mädchen gemischten Alters, der Jüngste gerade ein Jahr alt mit vollen Windeln und hungrigem Geschrei, hart zu kontrollieren. KEINE LEICHTE SACHE!!!

Auch nicht für den Menschenhaufen, der ja sehr dankbar ist aber das auch sehr sein musste! Keiner liebt 'Müssen' zu müssen!

Wie lange wir dort bleiben durften / mussten, ist mir heute nicht mehr bewusst. Außer der singenden Zirze ist da bei mir nicht mehr viel hängen geblieben. Es muss wohl nur eine kurze, doch wichtige Zeit gewesen sein. Ich nehme an, dass Onkel Horst Rudolf es vollbrachte, dass wir bald in die Kaserne in Kreyenbrück eingeziehen konnten.

Davon das nächste Mal.
 

 

Auszug aus "Aus meinem Leben"
von Horst Rudolf Müller

... Der nächste Gang zum Wohnungsamt. Drei Anschriften gab man mir ... Zur nächsten Anschrift: Teichstraße. Es machte niemand auf. Dann Schritte auf der Treppe: zwei junge Damen – wobei die Bezeichnung "Damen" irgendwie unpassend ist. Jedenfalls zeigten sie mir das erst am Vormittag vom Wohnungsamt beschlagnahmte Zimmer. Ein großer Raum, die "gute Stube" der Witwe Ammer und ihrer drei so etwa 20 bis 28 Jahre alten Töchter. Der Hinweis "kein Bett" konnte mich nicht schrecken, ich sagte ihnen, daß ich seit etlichen Jahren nicht mehr im Bett geschlafen hätte, Holzfußboden wäre sehr gut.

Ich nahm das Zimmer. Und war somit Oldenburger Bürger ...

So wohnte ich also bei der Witwe Ammer mit ihren drei heiratsfähigen Töchtern, einer sehr energischen Witwe, die in den erster Nächten, wie ich später hörte, ein Beil mit ins Bett nahm zum Schutze vor dem Menschen aus dem "Oosten", vor dem sie Angst hatte, obwohl sie eigentlich sehen mußte, daß ich halbverhungerter Mensch froh war, wenn ich mich überhaupt auf den Beinen hielt. Allmählich holte ich dank Rotem Kreuz meine gesamte noch lebende Familie nach Oldenburg, und die Witwe Ammer und ihre Töchter waren unser ständiges Gesprächsthema. Sie stammten aus der Gegend von Wardenburg, bekamen von ihrer Verwandtschaft noch einiges an Lebensmitteln zugesteckt, und ich profitierte auch davon. Solange, bis sie merkte, daß ich absolut keine ihrer drei Töchter heiraten wollte. Da warf sie mir die Lebensmittelkarten vor die Füße, aber da zog ich auch bald aus.