Nana Glen, Australien
Beutezüge
Da will ich noch schnell berichten, wie
wir auf einem unserer Beutezüge zu einem langgestreckten, einstöckigen
Backsteingebäude kamen. Es hatte kein Dach mehr und war beschädigt,
offenbar durch Feuer. Natürlich drangen wir ein und trafen dort andere
Glücksritter auf Goldsuche.
Es war eine Bonbonfabrik gewesen oder
etwas Ähnliches. Grosse Kupferkessel hingen da, mehrere in schaukelnden
Scharnieren. Alles dreckig und klebrig von verbranntem Zucker.
Auch der Fußboden war überzogen mit
steinhartem Zucker, wie braunes Glass. Ein paar Leutchen von ähnlichem
Kaliber wie wir waren dabei, den Zuckerboden zu bearbeiten.
Wir gingen auch gleich an die Arbeit.
Brachen Brocken aus dem Zuckerguss, um sie als Bonbons zu lutschen. In
einer Ecke fanden wir unter der "Glasschicht" sogar etwas unverbrannten
Zucker. Dort mussten wohl die Säcke gestanden haben. Die Hitze des
Brandes schmolz die Zuckersäcke zusammen und wie die Lava eines Vulkans
floss der geschmolzene Zucker über den gesamten Boden.
Es war ein kleines Fest für uns alle, auch
wenn die verbrannte Süße uns wohl bald zum Hals heraus hat hängen
müssen, denke ich mir.
Ein anderes Mal gelangten wir zu einem
riesigen Lagerhaus mit vielen Rohren und Schuppen herum. An einem
Seitengebäude befand sich ein großer aufgeschütteter Haufen. Eine Art
grobes, graues Mehl. Es stank nach vertrocknetem Fisch und Meer. Na, das
war es denn auch. Man konnte in dem Gemahlenen noch ganz kleine Fisch-
und Granatteilchen erkennen. Es handelte sich ganz gewiss um eine
Hühnerfutterfabrik. Vielleicht auch Schweinefutter oder wer weiß was
sonst noch.
Jedenfalls langten wir kräftig zu, und für
längere Zeit gab es bei uns Fischfleischklopse die Menge.
Während jener Zeit fanden wir auch eine
vereinsamte Flakbatterie im Wald. Geschossen haben wir damit nicht, doch
raubten wir die Prismen aus den Suchgeräten. Diese waren wunderschön und
vielseitig verwendbar. Gerne wollte ich die heute noch haben. Wenn ihr
je eine Flakbatterie findet, vergewissert euch, dass ihr die Prismen
nicht zurücklasst. Und wenn ihr dann einige übrig habt und ich noch am
Leben bin, würde ich es euch nicht übelnehmen, eine oder zwei in meine
Richtung zu schmeißen. Nur der Erinnerungen wegen. Ja???
– Na gut, dann also
nicht! Man muss es ja mal versuchen, nicht wahr?!
Berichten kann ich auch, dass Heinz,
unser "Großer", doch geschossen hat. Und zwar eine Panzerfaust, die er im
Wald fand. Es war doch einfach zu gefährlich, sie so liegen zu lassen.
Heinz, mit seinen 17 Jahren, war ja doch
schon recht geschult mit Waffen. Dank der Hitlerjugend, in der er schon
recht bedeutende Schnüre am Arm getragen hatte.
Dem Abschuss durfte ich nur aus weiter
weiter Ferne zuhören. Ich glaube, Hans war mit ihm dabei und aus einem
Schützenloch schoss Heinz, worauf, das weiß ich nicht mehr.
Einmal kamen wir auf einen
Militärflugplatz, auf dem am Boden zerstörte Flugzeuge standen und
teilweise lagen. Ich weiß heute noch, wie winzig die Flugkabinen der
Jäger waren. Selbst ich brauchte einen Schuhanzieher, um da hinein zu
krabbeln. Ich weiß nicht mehr, ob Heinz dort auch die Bordwaffe
benutzte. Munition und alles Andere war an seinem Platz.
Einmal sahen wir dort ein paar andere
Jungen, die nichts mit uns zu tun hatten. Sie hatten ein
Artilleriegeschoss. Sie hämmerten diesem die Spitze lose und endlich aus
der Kartusche –
etwas, was keiner von uns gemacht hätte, glaube ich. Aus der Kartusche
kamen lange, grau-braune Makkaronistangen, die, angezündet, zu ganz
wunderbaren sprühenden Wunderkerzen wurden. Wir hatten viel Freude
daran.
Ich glaube, hier bin ich mit meinen
Berichten nun im Herbst angekommen und nichts Besonderes kitzelt mir die
Gehirngänge mehr. Muss wohl kein großer Gedanke aus der Zeit mehr im
Hause sein. Das ist der Herbst 1945! Der Russe war im Januar nach Danzig
gekommen. Am 8. Mai hatte Deutschland kapituliert, der Krieg war zu
Ende.
So schließe ich dieses dreiviertel Jahr
seit dem Einzug der Russen, das wir noch im Osten verbrachten. Ganz auf
uns selbst gestellt. Es ist eine Zeit gewesen, die ich um nichts in der
Welt missen wollte. Sie hat gewiss viel zu dem beigetragen, wie und
was ich heute bin. Das Schicksal hat mir das Leben in dieser wirren Zeit
bewahrt, mir, der Mutter, der Geschwister und einer Menge Anverwandter.
Zu erzählen kann ich jedoch nicht
aufhören. Das nächste Mal sind wir auf Reisen.
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