Lebensberichte und Familienchroniken

Gottfried F.

Von Zoppot nach Australien - in vielen Schritten

02.11.2008

 

 

Nana Glen, Australien

Beutezüge

Da will ich noch schnell berichten, wie wir auf einem unserer Beutezüge zu einem langgestreckten, einstöckigen Backsteingebäude kamen. Es hatte kein Dach mehr und war beschädigt, offenbar durch Feuer. Natürlich drangen wir ein und trafen dort andere Glücksritter auf Goldsuche.

Es war eine Bonbonfabrik gewesen oder etwas Ähnliches. Grosse Kupferkessel hingen da, mehrere in schaukelnden Scharnieren. Alles dreckig und klebrig von verbranntem Zucker.

Auch der Fußboden war überzogen mit steinhartem Zucker, wie braunes Glass. Ein paar Leutchen von ähnlichem Kaliber wie wir waren dabei, den Zuckerboden zu bearbeiten.

Wir gingen auch gleich an die Arbeit. Brachen Brocken aus dem Zuckerguss, um sie als Bonbons zu lutschen. In einer Ecke fanden wir unter der "Glasschicht" sogar etwas unverbrannten Zucker. Dort mussten wohl die Säcke gestanden haben. Die Hitze des Brandes schmolz die Zuckersäcke zusammen und wie die Lava eines Vulkans floss der geschmolzene Zucker über den gesamten Boden.

Es war ein kleines Fest für uns alle, auch wenn die verbrannte Süße uns wohl bald zum Hals heraus hat hängen müssen, denke ich mir.

Ein anderes Mal gelangten wir zu einem riesigen Lagerhaus mit vielen Rohren und Schuppen herum. An einem Seitengebäude befand sich ein großer aufgeschütteter Haufen. Eine Art grobes, graues Mehl. Es stank nach vertrocknetem Fisch und Meer. Na, das war es denn auch. Man konnte in dem Gemahlenen noch ganz kleine Fisch- und Granatteilchen erkennen. Es handelte sich ganz gewiss um eine Hühnerfutterfabrik. Vielleicht auch Schweinefutter oder wer weiß was sonst noch.

Jedenfalls langten wir kräftig zu, und für längere Zeit gab es bei uns Fischfleischklopse die Menge.

Während jener Zeit fanden wir auch eine vereinsamte Flakbatterie im Wald. Geschossen haben wir damit nicht, doch raubten wir die Prismen aus den Suchgeräten. Diese waren wunderschön und vielseitig verwendbar. Gerne wollte ich die heute noch haben. Wenn ihr je eine Flakbatterie findet, vergewissert euch, dass ihr die Prismen nicht zurücklasst. Und wenn ihr dann einige übrig habt und ich noch am Leben bin, würde ich es euch nicht übelnehmen, eine oder zwei in meine Richtung zu schmeißen. Nur der Erinnerungen wegen. Ja??? Na gut, dann also nicht! Man muss es ja mal versuchen, nicht wahr?!

Berichten kann ich auch, dass Heinz, unser "Großer", doch geschossen hat. Und zwar eine Panzerfaust, die er im Wald fand. Es war doch einfach zu gefährlich, sie so liegen zu lassen.

Heinz, mit seinen 17 Jahren, war ja doch schon recht geschult mit Waffen. Dank der Hitlerjugend, in der er schon recht bedeutende Schnüre am Arm getragen hatte.

Dem Abschuss durfte ich nur aus weiter weiter Ferne zuhören. Ich glaube, Hans war mit ihm dabei und aus einem Schützenloch schoss Heinz, worauf, das weiß ich nicht mehr.

Einmal kamen wir auf einen Militärflugplatz, auf dem am Boden zerstörte Flugzeuge standen und teilweise lagen. Ich weiß heute noch, wie winzig die Flugkabinen der Jäger waren. Selbst ich brauchte einen Schuhanzieher, um da hinein zu krabbeln. Ich weiß nicht mehr, ob Heinz dort auch die Bordwaffe benutzte. Munition und alles Andere war an seinem Platz.

Einmal sahen wir dort ein paar andere Jungen, die nichts mit uns zu tun hatten. Sie hatten ein Artilleriegeschoss. Sie hämmerten diesem die Spitze lose und endlich aus der Kartusche etwas, was keiner von uns gemacht hätte, glaube ich. Aus der Kartusche kamen lange, grau-braune Makkaronistangen, die, angezündet, zu ganz wunderbaren sprühenden Wunderkerzen wurden. Wir hatten viel Freude daran.

Ich glaube, hier bin ich mit meinen Berichten nun im Herbst angekommen und nichts Besonderes kitzelt mir die Gehirngänge mehr. Muss wohl kein großer Gedanke aus der Zeit mehr im Hause sein. Das ist der Herbst 1945! Der Russe war im Januar nach Danzig gekommen. Am 8. Mai hatte Deutschland kapituliert, der Krieg war zu Ende.

So schließe ich dieses dreiviertel Jahr seit dem Einzug der Russen, das wir noch im Osten verbrachten. Ganz auf uns selbst gestellt. Es ist eine Zeit gewesen, die ich um nichts in der Welt missen wollte. Sie hat gewiss viel zu dem beigetragen, wie und was ich heute bin. Das Schicksal hat mir das Leben in dieser wirren Zeit bewahrt, mir, der Mutter, der Geschwister und einer Menge Anverwandter.

Zu erzählen kann ich jedoch nicht aufhören. Das nächste Mal sind wir auf Reisen.