Lebensberichte und Familienchroniken

Gottfried F.

Von Zoppot nach Australien - in vielen Schritten

01.11.2008

 

 

Nana Glen, Australien

Springende Kühe

Ich muss mich wohl mal wieder in die Riemen legen. Mein Kanu liegt ja schon fast ganz auf dem Trockenen, und wenn ich jetzt in Germany wäre, würde mein Paddel einen "Schneeengel" in den Schnee kratzen.

War es gestern heiß und wohlig, ist es heute kühl und der Regen rieselt über meine Gedankenstränge und liftet mein Kanu aus dem Schlamm. So will ich denn ein wenig weiterpaddeln.

Ich glaube, dass die "Pulvermühle" der letzte Aufenthaltsort war, bevor wir den Osten ganz verließen. Doch beschwören kann ich es nicht. Natürlich hörten unsere "Raubzüge" nie auf. Wie im Mittelalter der gute Goetz von Berlichingen immer auf der Lauer lag und seine Burg nur verließ, um ein paar Kartoffeln zu filzen, ein Huhn oder auch einen Gockel, so waren auch wir vollständig auf das angewiesen, was uns da so zufällig in die Finger fiel.

Von Januar 1945 bis zum späten Herbst sind wir dort ohne Regierung, Kaufläden, Bäcker oder sonstige versorgende Gewerbetreibende ausgekommen, weil wir es mussten. Es gab einfach nichts!

Wir hatten Glück die Polen hatten eine notdürftige "Kommandantur" eingerichtet. Nur für sich selbst, von den Russen kaum gelitten. Letztere hatten mehr gegen die Polen als gegen die paar hundert Deutsche, die da doch wohl noch auf dem Lande verkrümelt hausten, wie auch wir.

Diese zusammengeträufelte Kommandantur ich glaube sogar, sie besetzte unser Zoppoter Haus hielt in der Garage zwei Kühe. Schwarzweiße. Mehr schwarz als weiß. Diese Kühe wollten die "Funktionäre" der Kommandantur gefüttert wissen. 

Um dies zu erreichen, engagierten sie zwei deutsche Kinder, die, jedes an einem Strick, die Kühe durch die Landschaft weiden sollten, an Straßenrändern, in Vorgärten und wo immer etwas wuchs, das zu ihrem Gedeihen beitrug.

Am Abend hatten sie die Kühe wieder in die Garage zu bringen. Der Kühe Milch war nicht nur den Polen lieb und wichtig, sondern in großem Maße natürlich auch den beiden Hirtenkindern.

Die eine war ungefähr 13 Jahre alt und hieß Gisela. Ganz besonders liebe ich aber den zehn Jahre alten Buben, den ich nimmermehr aus meines Herzens Liebe verbannen konnte und will. 

Man sagte ihm fälschlich nach, dass er ein "Kaputtmacher" gewesen sei. Für lange Zeit ward er so mit dem Beinamen "Putt" behaftet. Von seiner liebenden Mutter wurde er oft und meistens "Hanneputt' gerufen.

Also, was soll ich sagen: Gisela und Gottfried war es vergönnt, der Polen Kühe zu weiden. Natürlich war da eine anfängliche Angst im Spiel. Nur einen Strick in der einen, und einen kleinen Stock in der anderen Hand, Zähne knirschende, gigantische Gestalten im Nacken –es gab wohl schon manchen bedenklichen Gedanken in unseren unterentwickelten "Kriegskinderbrüsten". Denke ich mir heute.

Doch Mut zeigt auch der Lahme Muck. Bald müssen wir unserer Sache wohl recht gewachsen gewesen sein, denn in kürzester Zeit lernten wir, uns in den Mund zu melken, und bald darauf auch in eine Bierflasche.

Hier nun muss ich einflüstern, dass Eckard, unser jüngster Bruder, noch kein Jahr alt war, und die Milch brauchte wie 'das tägliche Brot'!

Diese bekam er denn nun aber auch. In einem, nur Hans und uns bekannten Versteck, lag die leere Bierflasche am Morgen, füllte sich durch 'Geisterhand' während des Tages und wurde durch Hans davongetragen, um sich in Eckarts gierigen Schlund zu schleichen.

Wie lange das gut ging, weiß ich nicht mehr. Fast bin ich mir sicher, dass es bis zu unserer Ausweisung klappte. Denn was wäre ohne die Milch aus Eckart geworden, wenn überhaupt etwas?!

Ich bin froh zu bemerken, dass er recht munter und erfolgreich die halbe Welt bereist und beackert. Er ist in Amerika und frisst, wenn er da ist, dass der Tisch fast bricht. "Der Tisch muss krachen!" hat er mir mal gestanden als wir hier in meinem Wohnwagen für ein paar Tage hausten. Ich fand heraus, dass es ganz leicht ist, diesen Bruder zu lieben. Und das tue ich dann ja mal auch ich war immer etwas leichtfertig.

Ich muss noch hinzufügen, dass Gisela und ich uns einmal doch beinahe in die Hosen gemacht haben, was nur durch den Umstand verhindert wurde, dass unsere Mägen fast inhaltslos gewesen seien müssen.

Und so geschah es denn, dass wir, erst Gisela, dann ihre Kuh, dann ich, dann meine Kuh, ganz friedlich und ahnungslos dahintrödelten. Doch plötzlich zwang der Liebesdrang Giselas Kuh sich auf die Hinterbeine aufzustellen und ihre Vorderhufe auf Giselas Schultern, ganz sanft, zur Ruhe zu setzen. Das Entsetzen ist kaum ausreichend zu beschreiben. Nur oben beschriebener Umstand rettete unsere Beinkleider vom Ungemach. Wir banden die Kühe erst mal an Bäume und schlugen sie in und vor Angst. Später dann brachten wir sie so schnell wie möglich in die Garage, immer die Stöcke an ihren Mäulern. All dies wurde bald vergessen, denn Jörg Eckarts Hungergeschrei wäre wohl noch schlimmer gewesen.

Ihr Lieben, wer immer ihr gerade sein möget. Ich sage euch ade für today. Will aus dem Regen Wein machen, wie unser viel berühmterer Vorgänger nach Belieben zu tun gepflegt haben soll.

Oh ja es ist Zeit!

"Stadt und Land in guter Ruh,
guter Ruh,
guuuter Ruuuh!"

Und das wieder und wieder gesungen. Es war ein sehr schöner Kanon, dem wir auch nebst anderen Werken oft und gerne beim Säubern der Badewannen in der Kaserne in Kreyenbrück gefrönt haben. Doch das ist ein gewaltiger Sprung in die zukünftige Vergangenheit und wird sich Euch irgendwann in kommenden Tagen erklären.