Nana Glen, Australien
Springende Kühe
Ich muss
mich wohl mal wieder in die Riemen legen. Mein Kanu liegt ja schon fast
ganz auf dem Trockenen, und wenn ich jetzt in Germany wäre, würde mein
Paddel einen "Schneeengel" in den Schnee kratzen.
War es
gestern heiß und wohlig, ist es heute kühl und der Regen rieselt über
meine Gedankenstränge und liftet mein Kanu aus dem Schlamm. So will ich
denn ein wenig weiterpaddeln.
Ich
glaube, dass die "Pulvermühle" der letzte Aufenthaltsort war, bevor wir
den Osten ganz verließen. Doch beschwören kann ich es nicht. Natürlich
hörten unsere "Raubzüge" nie auf. Wie im Mittelalter der gute Goetz von
Berlichingen immer auf der Lauer lag und seine Burg nur verließ, um
ein paar Kartoffeln zu filzen, ein Huhn oder auch einen Gockel, so waren
auch wir vollständig auf das angewiesen, was uns da so zufällig in die
Finger fiel.
Von Januar
1945 bis zum späten Herbst sind wir dort ohne Regierung, Kaufläden,
Bäcker oder sonstige versorgende Gewerbetreibende ausgekommen, weil wir
es mussten. Es gab einfach nichts!
Wir hatten
Glück –
die Polen hatten eine notdürftige "Kommandantur" eingerichtet. Nur für
sich selbst, von den Russen kaum gelitten. Letztere hatten mehr gegen
die Polen als gegen die paar hundert Deutsche, die da doch wohl noch auf
dem Lande verkrümelt hausten, wie auch wir.
Diese
zusammengeträufelte Kommandantur
– ich
glaube sogar, sie besetzte unser Zoppoter Haus
– hielt in
der Garage zwei Kühe. Schwarzweiße. Mehr schwarz als weiß. Diese Kühe
wollten die "Funktionäre" der Kommandantur gefüttert wissen.
Um dies zu
erreichen, engagierten sie zwei deutsche Kinder, die, jedes an einem
Strick, die Kühe durch die Landschaft weiden sollten, an Straßenrändern,
in Vorgärten und wo immer etwas wuchs, das zu ihrem Gedeihen beitrug.
Am Abend
hatten sie die Kühe wieder in die Garage zu bringen. Der Kühe Milch war
nicht nur den Polen lieb und wichtig, sondern in großem Maße natürlich
auch den beiden Hirtenkindern.
Die eine
war ungefähr 13 Jahre alt und hieß Gisela. Ganz besonders liebe ich aber
den zehn Jahre alten Buben, den ich nimmermehr aus meines Herzens Liebe
verbannen konnte und will.
Man sagte
ihm fälschlich nach, dass er ein "Kaputtmacher" gewesen sei. Für lange
Zeit ward er so mit dem Beinamen "Putt" behaftet. Von seiner liebenden
Mutter wurde er oft und meistens "Hanneputt' gerufen.
Also, was
soll ich sagen: Gisela und Gottfried war es vergönnt, der Polen Kühe zu
weiden. Natürlich war da eine anfängliche Angst im Spiel. Nur einen
Strick in der einen, und einen kleinen Stock in der anderen Hand, Zähne
knirschende, gigantische Gestalten im Nacken
–es gab
wohl schon manchen bedenklichen Gedanken in unseren unterentwickelten
"Kriegskinderbrüsten". Denke ich mir heute.
Doch Mut
zeigt auch der Lahme Muck. Bald müssen wir unserer Sache wohl recht
gewachsen gewesen sein, denn in kürzester Zeit lernten wir, uns in den
Mund zu melken, und bald darauf auch in eine Bierflasche.
Hier
nun muss ich einflüstern, dass Eckard, unser jüngster Bruder, noch kein
Jahr alt war, und die Milch brauchte wie 'das tägliche Brot'!
Diese
bekam er denn nun aber auch. In einem, nur Hans und uns bekannten
Versteck, lag die leere Bierflasche am Morgen, füllte sich durch
'Geisterhand' während des Tages und wurde durch Hans davongetragen,
um sich in Eckarts gierigen Schlund zu schleichen.
Wie lange
das gut ging, weiß ich nicht mehr. Fast bin ich mir sicher, dass es bis
zu unserer Ausweisung klappte. Denn was wäre ohne die Milch aus Eckart geworden, wenn überhaupt etwas?!
Ich bin
froh zu bemerken, dass er recht munter und erfolgreich die halbe Welt
bereist und beackert. Er ist in Amerika und frisst, wenn er da ist, dass
der Tisch fast bricht. "Der Tisch muss krachen!" hat er mir mal
gestanden als wir hier in meinem Wohnwagen für ein paar Tage hausten.
Ich fand heraus, dass es ganz leicht ist, diesen Bruder zu lieben. Und
das tue ich dann ja mal auch
– ich war
immer etwas leichtfertig.
Ich muss
noch hinzufügen, dass Gisela und ich uns einmal doch beinahe in die
Hosen gemacht haben, was nur durch den Umstand verhindert wurde, dass
unsere Mägen fast inhaltslos gewesen seien müssen.
Und so
geschah es denn, dass wir, erst Gisela, dann ihre Kuh, dann ich, dann
meine Kuh, ganz friedlich und ahnungslos dahintrödelten. Doch plötzlich
zwang der Liebesdrang Giselas Kuh sich auf die Hinterbeine aufzustellen
und ihre Vorderhufe auf Giselas Schultern, ganz sanft, zur Ruhe zu
setzen. Das Entsetzen ist kaum ausreichend zu beschreiben. Nur oben
beschriebener Umstand rettete unsere Beinkleider vom Ungemach. Wir
banden die Kühe erst mal an Bäume und schlugen sie in und vor Angst.
Später dann brachten wir sie so schnell wie möglich in die Garage, immer
die Stöcke an ihren Mäulern. All dies wurde bald vergessen, denn Jörg
Eckarts
Hungergeschrei wäre wohl noch schlimmer gewesen.
Ihr
Lieben, wer immer ihr gerade sein möget. Ich sage euch ade für today.
Will aus dem Regen Wein machen, wie unser viel berühmterer Vorgänger
nach Belieben zu tun gepflegt haben soll.
Oh ja
– es ist
Zeit!
"Stadt und
Land in guter Ruh,
guter Ruh,
guuuter Ruuuh!"
Und das
wieder und wieder gesungen. Es war ein sehr schöner Kanon, dem wir auch
– nebst
anderen Werken –
oft und gerne beim Säubern der Badewannen in der Kaserne in Kreyenbrück
gefrönt haben. –
Doch das ist ein gewaltiger Sprung in die zukünftige Vergangenheit und
wird sich Euch irgendwann in kommenden Tagen erklären.
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