Nana Glen, Australien
Eine Nacht …
Also, da
hatte ich so eine kleine, lange Schreibepause zu erleben. Leider! Dinge
purzelten auf die Schienen der Gedankeneisenbahn, gar nicht beachtend,
dass ich ja eigentlich im Kanu dahin zu driften gewillt war.
Na ja,
wie's knallt, so bullerts. Und da will ich denn mal versuchen, den Faden
aus dem Wasser zu ziehen und das Gerümpel von den Gleisen zu
zerren......
Wir sind
also in Oliva an- und in Tante Lottes Wohnung beinahe umgekommen. Die
verließen wir aber irgendwann, wie und warum, weiß der Kuckuck.
Doch was
ich noch weiß ist, dass wir bald an und in ein Haus gelangten, wo wir
wohl eine ganze Weile vegetiert haben müssen. Es war kein armes, doch
verlassenes Haus. Dachten wir. Doch sehr bald stellte sich heraus, dass
im ersten Stock ein besonders großer Deutscher Schäferhund Hauswache und
Besitz ergriffen hatte. Er war wohl von den Bewohnern zurückgelassen
worden. Schreck und berechtigte Angst in unserer kleinen Gruppe. Der
Hund kam nicht herunter. Er stand oben an der Treppe und ließ niemanden
hinauf.
Da war ein
großer Wintergarten oder eine Glassveranda hinten am Haus angebaut. Dort
legten wir, was wir an Matratzen aufgestöbert hatten, auf den Boden und
nahmen somit hier unser Quartier. Der Hund über uns.
Im Garten
hinter dem Haus befand sich am unteren Ende ein verglastes Gartenhaus,
in dem sich ein russischer Soldat eingenistet hatte. Offenbar mit der
Russen Erlaubnis, denn er war ein Schuster, der jetzt seinem privaten
Beruf nachging, sich genügend Werkzeuge gerafft hatte, nebst einer
Balalaika, und ein herzensguter Mann war, Kinder liebte und vermisste,
und Heimweh hatte, was er oft und gerne seiner Balalaika ins Herz sang.
Er hatte
aber auch eine Pistole, und wenn ich mich recht erinnere, war er es, der
dem ersten Stock einen Besuch abstattete und dem Schäferhund den Garaus
machte. Nun konnten wir das ganze Haus erforschen.
Da hing an
der Wand in einem der Zimmer ein, wie ich unwiderstehlich fand,
wunderschönes, nicht sehr großes Bild mit einer Stadt drauf
– aus Perlmutt
zusammen getüftelt, funkelnd, glitzernd, Herz brechend schön und, wie
ich heute nur glauben kann, unendlich kitschig. Ich schleppte es lange
mit mir herum.
Der
Schuster nun wurde ganz schnell unser Beschützer. Besonders wir Kleinen
waren ihm in die Seele geklettert. Von ihm bekamen wir sogar mal Zucker
und viele russische Lieder. Oft durften wir ihm zusehen wie er
schusterte. Verstehen konnten wir ihn aber nicht und er uns auch nicht.
Die ganze
Sache muss jedoch recht gut für uns alle angelaufen sein. Ich will ihn
von hier an der Einfachheit halber "Igor" nennen. Bin mir seines
richtigen Namens nicht mehr sicher. Er war ein kleiner, guter
Kosakenmann. Er ereichte, dass andere Russen uns besuchten, die auch
ihre Familien vermissten. Einmal, schon ziemlich zu Beginn unserer
Bekanntschaft, versprachen sie uns "Chlebba" = Brot zu bringen. Um 9.00
am Abend, gaben sie uns irgendwie zu verstehen.
Brot
hatten wir nun schon seit Monaten keines gesehen, geschweige denn
gegessen. So warteten wir ganz gespannt auf neun Uhr und das
versprochene Brot. Wir waren immer in dem Wintergarten, der es erlaubte,
die Gegend zu übersehen, denn man wusste ja nie ... Wir warteten und
warteten ... Nichts! .. Es wurde Dunkel ... sehr Dunkel ... und endlich
volle Nacht. Kein Mondschein. Wir verzogen uns alle enttäuscht auf
unsere Matratzen. Ich glaube, wir waren wenigstens 13 Verwandte und
bestimmt zehn Kinder. Die Jüngsten immer nahe an der Tür. Die
Erwachsenen am anderen Ende, so hässlich wie möglich herausgeputzt. Sie
wollten die Russen nicht reizen, zu was auch immer. Wir Kleinen waren
schon sehr gut im Schreien und weinen, wenn Gefahr drohte. Die Russen
konnten keine Kinder weinen sehen, ohne selber die Tränen zurückhalten
zu müssen. Der Krieg war ja vorbei für sie, doch ihre Familien in weiter
Ferne und ihr Heimweh groß.
Es war
tiefe Nacht und wir schliefen wohl schon alle. Neun Uhr lange vorbei.
Wir hatten zwar keine Uhren mehr, denn die waren zu den ersten Soldaten
gegangen, die sie sahen.
Gut also,
das Brot war eine Enttäuschung, und wir schliefen ein. Bis auf einmal
Stimmen tönten. Schritte knirschten, Fenster ratterten, und wir Kinder
brachen in Angstgeschrei aus.
Taschenlampen in russischen Händen leuchteten herein
– es gab ja keinen
Strom. Und dann hörten wir: Chlebba, chlebba
– ich weiß nicht, ob
ich es richtig schreibe, habe es nie geschrieben gesehen.
Es war
also Brot. Ein Brot. Pechschwarz, nass und klitschig und nicht sehr
groß. Die Russen hatten ja auch nichts zu beißen. Da war also große
Erleichterung und Freude. Jeder bekam einen kleinen Bissen mit etwas
Zucker drauf. Der war eine Zugabe. Die Russen waren sehr nett und
beteuerten, dass es gerade 9 Uhr sei
– in Moskau
– und das war es
dort wohl auch –
allerdings morgens –
und die Russen zeigten sich zu anhänglich an ihre heimatliche Zeit, um
die Unsere anzunehmen.
Das Brot
war dann auch wohl in Sekunden verschlungen, denn es war winzig, doch
das erste Brot in Monaten.
Durch Igor
wurden wir mit anderen Russen bekannt, Und Irma Ella, die ja sehr gut im
Nähen war (alles an uns Kindern ausprobiert und vervollkommnt in
Kriegszeiten) bot einem Offizier an, eine echte Uniform für ihn zu
nähen, wenn er Maschine und Stoff besorgen würde. Das geschah denn wohl
auch, und eine sehr gute Uniform ward geboren. Ich bin sicher, dass sie
zu einigen Vorteilen und gewissem Schutz für uns alle beitrug.
Pause für
heute. Meine Seele ist ausgeleiert. 20.10.08
21.10.08
– Na da bin ich denn
mal wieder.
Gerade
hatten wir einen ungeheuren Hagel-Gewittersturm mit pingpong Ball großen
Eisklumpen. Es war überwältigend. Wie Granatenfeuer in meinem Wohnwagen.
Meine Hunde versuchten sich unters Bett zu verkriechen, was natürlich
nicht ging – das
Bett hat kein "Unter". So zerrten sie mich mit Zähnen aufs Bett und
deckten sich mit mir zu. Wenn sie Hosen angehabt hätten, wären diese nun
gewiss voll gewesen. Mir war auch ein bisschen schummerig, doch nun
kröchelt die Sonne auf Schleichwegen heraus und heran, und wir sind
wieder ganz mutig. –
Wir sind ja drei, wir ham keine Angst! Wir sind ja drei, wir ham keine
Angst!! Aus dem "Buch der Kindheit", immer wiederholen und es hilft!!!
Nun will
ich aber wieder in die ferne Vergangenheit schiffen.
Da ist
also eine andere Nacht in dem Haus, die nicht vergessen werden kann und
soll. Sie war schon toll.
Russen,
vier oder fünf an der Zahl. Offenbar uns freundlich gesinnt, luden uns
ein, im Kupferkessel in der Waschküche eine große Menge eines Fleisches
– Pferd, vermute ich
– aufs
köstlichste gar zu kochen und dann gemeinsam mit ihnen zu verspeisen.
Die Damen unseres Haushalts konnten und wollten nicht "nein" sagen, und
so wurde also gekocht. In einem Waschkessel dauert das wohl ganz
besonders lange. Damit entsteht wohl etwas, dass man wohl Vorfreude
nennt.
Ich weiß
noch ganz genau, dass auch ich mich in der gemütlichen Waschküche
aufhielt. Ich erinnere mich dem an den nun kommenden Tatbestand
bildlich. Da saßen nun ein paar von uns und die Russen, warteten auf was
immer herum, fütterten das Feuer und leckten die Lippen in Erwartung des
noch lange nicht Kommenden.
Nicht so
die Russen. Die hatten mit Vorbedacht ein paar Kannen und einen Becher
mitgebracht. In den Kannen war der präparierende Alkohol versammelt,
den sie in einem Museum ergattert hatten, nachdem sie die armen Tierchen
mittels einer siebenden Windel ins Freie gelassen hatten. 100% Alkohol
nehme ich an. Jedenfalls starkes Zeug und das wurde nun gesoffen. Und
hier kommt: WIE!!
Da stand
ein Stuhl. Darauf setzte sich ein Russe. Hinter ihm standen zwei Russen.
Jeder hielt eine Schulter des Sitzenden. Ein Vierter setzte dann die
Kanne oder den Becher an den sitzenden Mund und füllte den selbigen mit
einem kräftigen Schwall!!! –
Da gingen dem Sitzenden die Augen über, keuchend und stöhnend, des Atems
beraubt, sank er in sich zusammen. Man ließ ihn zu Boden gleiten, zum Wieder-zu-sich-zu-kommen,
und der nächste Russe nahm seinen Platz auf dem Folterstuhl. So ging es
der Reihe nach rum.
Hier
schweigt nicht nur des Sängers Höflichkeit, sondern auch sein
Gedächtnis. Wie es ausging, konnte er nie erfragen. Doch bin ich sicher,
dass er aus Altersgründen verfrüht im Matratzen-Lager verscholl.
Jawoll.
Das war so, und ich sehe es noch vor mir. Kann mich ans Essen nicht
besinnen, doch an den "Waschkessel", die Kanne, die Russen und unsere
kleine Meute – all
das sehe ich noch heute. Gemütlich war es, warm, und voller Freude. Auch
die Russen waren nicht 'verdrussen'!! –
Reim dich – oder ich
freß dich!
Das ist es
für heute, liebe Leute. Der Regen beginnt gerade wieder mächtig und
macht den Rasen überlang und prächtig. Ich mach mal lieber wirklich
Schluss, denn sonst verflieht sich der Genuss!!
Ja, und
das wäre ein Verdruss!!!
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