Lebensberichte und Familienchroniken

Gottfried F.

Von Zoppot nach Australien - in vielen Schritten

21.10.2008

 

 

Nana Glen, Australien

Eine Nacht …

Also, da hatte ich so eine kleine, lange Schreibepause zu erleben. Leider! Dinge purzelten auf die Schienen der Gedankeneisenbahn, gar nicht beachtend, dass ich ja eigentlich im Kanu dahin zu driften gewillt war.

Na ja, wie's knallt, so bullerts. Und da will ich denn mal versuchen, den Faden aus dem Wasser zu ziehen und das Gerümpel von den Gleisen zu zerren......

Wir sind also in Oliva an- und in Tante Lottes Wohnung beinahe umgekommen. Die verließen wir aber irgendwann, wie und warum, weiß der Kuckuck.

Doch was ich noch weiß ist, dass wir bald an und in ein Haus gelangten, wo wir wohl eine ganze Weile vegetiert haben müssen. Es war kein armes, doch verlassenes Haus. Dachten wir. Doch sehr bald stellte sich heraus, dass im ersten Stock ein besonders großer Deutscher Schäferhund Hauswache und Besitz ergriffen hatte. Er war wohl von den Bewohnern zurückgelassen worden. Schreck und berechtigte Angst in unserer kleinen Gruppe. Der Hund kam nicht herunter. Er stand oben an der Treppe und ließ niemanden hinauf.

Da war ein großer Wintergarten oder eine Glassveranda hinten am Haus angebaut. Dort legten wir, was wir an Matratzen aufgestöbert hatten, auf den Boden und nahmen somit hier unser Quartier. Der Hund über uns.

Im Garten hinter dem Haus befand sich am unteren Ende ein verglastes Gartenhaus, in dem sich ein russischer Soldat eingenistet hatte. Offenbar mit der Russen Erlaubnis, denn er war ein Schuster, der jetzt seinem privaten Beruf nachging, sich genügend Werkzeuge gerafft hatte, nebst einer Balalaika, und ein herzensguter Mann war, Kinder liebte und vermisste, und Heimweh hatte, was er oft und gerne seiner Balalaika ins Herz sang.

Er hatte aber auch eine Pistole, und wenn ich mich recht erinnere, war er es, der dem ersten Stock einen Besuch abstattete und dem Schäferhund den Garaus machte. Nun konnten wir das ganze Haus erforschen.

Da hing an der Wand in einem der Zimmer ein, wie ich unwiderstehlich fand, wunderschönes, nicht sehr großes Bild mit einer Stadt drauf aus Perlmutt zusammen getüftelt, funkelnd, glitzernd, Herz brechend schön und, wie ich heute nur glauben kann, unendlich kitschig. Ich schleppte es lange mit mir herum.

Der Schuster nun wurde ganz schnell unser Beschützer. Besonders wir Kleinen waren ihm in die Seele geklettert. Von ihm bekamen wir sogar mal Zucker und viele russische Lieder. Oft durften wir ihm zusehen wie er schusterte. Verstehen konnten wir ihn aber nicht und er uns auch nicht.

Die ganze Sache muss jedoch recht gut für uns alle angelaufen sein. Ich will ihn von hier an der Einfachheit halber "Igor" nennen. Bin mir seines richtigen Namens nicht mehr sicher. Er war ein kleiner, guter Kosakenmann. Er ereichte, dass andere Russen uns besuchten, die auch ihre Familien vermissten. Einmal, schon ziemlich zu Beginn unserer Bekanntschaft, versprachen sie uns "Chlebba" = Brot zu bringen. Um 9.00 am Abend, gaben sie uns irgendwie zu verstehen.

Brot hatten wir nun schon seit Monaten keines gesehen, geschweige denn gegessen. So warteten wir ganz gespannt auf neun Uhr und das versprochene Brot. Wir waren immer in dem Wintergarten, der es erlaubte, die Gegend zu übersehen, denn man wusste ja nie ... Wir warteten und warteten ... Nichts! .. Es wurde Dunkel ... sehr Dunkel ... und endlich volle Nacht. Kein Mondschein. Wir verzogen uns alle enttäuscht auf unsere Matratzen. Ich glaube, wir waren wenigstens 13 Verwandte und bestimmt zehn Kinder. Die Jüngsten immer nahe an der Tür. Die Erwachsenen am anderen Ende, so hässlich wie möglich herausgeputzt. Sie wollten die Russen nicht reizen, zu was auch immer. Wir Kleinen waren schon sehr gut im Schreien und weinen, wenn Gefahr drohte. Die Russen konnten keine Kinder weinen sehen, ohne selber die Tränen zurückhalten zu müssen. Der Krieg war ja vorbei für sie, doch ihre Familien in weiter Ferne und ihr Heimweh groß.

Es war tiefe Nacht und wir schliefen wohl schon alle. Neun Uhr lange vorbei. Wir hatten zwar keine Uhren mehr, denn die waren zu den ersten Soldaten gegangen, die sie sahen.

Gut also, das Brot war eine Enttäuschung, und wir schliefen ein. Bis auf einmal Stimmen tönten. Schritte knirschten, Fenster ratterten, und wir Kinder brachen in Angstgeschrei aus.

Taschenlampen in russischen Händen leuchteten herein es gab ja keinen Strom. Und dann hörten wir: Chlebba, chlebba ich weiß nicht, ob ich es richtig schreibe, habe es nie geschrieben gesehen.

Es war also Brot. Ein Brot. Pechschwarz, nass und klitschig und nicht sehr groß. Die Russen hatten ja auch nichts zu beißen. Da war also große  Erleichterung und Freude. Jeder bekam einen kleinen Bissen mit etwas Zucker drauf. Der war eine Zugabe. Die Russen waren sehr nett und beteuerten, dass es gerade 9 Uhr sei in Moskau  und das war es dort wohl auch allerdings morgens  und die Russen zeigten sich zu anhänglich an ihre heimatliche Zeit, um die Unsere anzunehmen.

Das Brot war dann auch wohl in Sekunden verschlungen, denn es war winzig, doch das erste Brot in Monaten.

Durch Igor wurden wir mit anderen Russen bekannt, Und Irma Ella, die ja sehr gut im Nähen war (alles an uns Kindern ausprobiert und vervollkommnt in Kriegszeiten) bot einem Offizier an, eine echte Uniform für ihn zu nähen, wenn er Maschine und Stoff besorgen würde. Das geschah denn wohl auch, und eine sehr gute Uniform ward geboren. Ich bin sicher, dass sie zu einigen Vorteilen und gewissem Schutz für uns alle beitrug.

Pause für heute. Meine Seele ist ausgeleiert. 20.10.08

21.10.08 Na da bin ich denn mal wieder.

Gerade hatten wir einen ungeheuren Hagel-Gewittersturm mit pingpong Ball großen Eisklumpen. Es war überwältigend. Wie Granatenfeuer in meinem Wohnwagen. Meine Hunde versuchten sich unters Bett zu verkriechen, was natürlich nicht ging  das Bett hat kein "Unter". So zerrten sie mich mit Zähnen aufs Bett und deckten sich mit mir zu. Wenn sie Hosen angehabt hätten, wären diese nun gewiss voll gewesen. Mir war auch ein bisschen schummerig, doch nun kröchelt die Sonne auf Schleichwegen heraus und heran, und wir sind wieder ganz mutig. Wir sind ja drei, wir ham keine Angst! Wir sind ja drei, wir ham keine Angst!! Aus dem "Buch der Kindheit", immer wiederholen und es hilft!!!

Nun will ich aber wieder in die ferne Vergangenheit schiffen. 

Da ist also eine andere Nacht in dem Haus, die nicht vergessen werden kann und soll. Sie war schon toll.

Russen, vier oder fünf an der Zahl. Offenbar uns freundlich gesinnt, luden uns ein, im Kupferkessel in der Waschküche eine große Menge eines Fleisches Pferd, vermute ich aufs köstlichste gar zu kochen und dann gemeinsam mit ihnen zu verspeisen. Die Damen unseres Haushalts konnten und wollten nicht "nein" sagen, und so wurde also gekocht. In einem Waschkessel dauert das wohl ganz besonders lange. Damit entsteht wohl etwas, dass man wohl Vorfreude nennt.

Ich weiß noch ganz genau, dass auch ich mich in der gemütlichen Waschküche aufhielt. Ich erinnere mich dem an den nun kommenden Tatbestand bildlich. Da saßen nun ein paar von uns und die Russen, warteten auf was immer herum, fütterten das Feuer und leckten die Lippen in Erwartung des noch lange nicht Kommenden.

Nicht so die Russen. Die hatten mit Vorbedacht ein paar Kannen und einen Becher mitgebracht. In den Kannen war der präparierende  Alkohol versammelt, den sie in einem Museum ergattert hatten, nachdem sie die armen Tierchen mittels einer siebenden Windel ins Freie gelassen hatten. 100% Alkohol nehme ich an. Jedenfalls starkes Zeug und das wurde nun gesoffen. Und hier kommt: WIE!!

Da stand ein Stuhl. Darauf setzte sich ein Russe. Hinter ihm standen zwei Russen. Jeder hielt eine Schulter des Sitzenden. Ein Vierter setzte dann die Kanne oder den Becher an den sitzenden Mund und füllte den selbigen mit einem kräftigen Schwall!!! Da gingen dem Sitzenden die Augen über, keuchend und stöhnend, des Atems beraubt, sank er in sich zusammen. Man ließ ihn zu Boden gleiten, zum Wieder-zu-sich-zu-kommen, und der nächste Russe nahm seinen Platz auf dem Folterstuhl. So ging es der Reihe nach rum.

Hier schweigt nicht nur des Sängers Höflichkeit, sondern auch sein Gedächtnis. Wie es ausging, konnte er nie erfragen. Doch bin ich sicher, dass er aus Altersgründen verfrüht im Matratzen-Lager verscholl.

Jawoll. Das war so, und ich sehe es noch vor mir. Kann mich ans Essen nicht besinnen, doch an den "Waschkessel", die Kanne, die Russen und unsere kleine Meute all das sehe ich noch heute. Gemütlich war es, warm, und voller Freude. Auch die Russen waren nicht 'verdrussen'!!   Reim dich oder ich freß dich!

Das ist es für heute, liebe Leute. Der Regen beginnt gerade wieder mächtig und macht den Rasen überlang und prächtig. Ich mach mal lieber wirklich Schluss, denn sonst verflieht sich der Genuss!!

Ja, und das wäre ein Verdruss!!!