Lebensberichte und Familienchroniken

Gottfried F.

Von Zoppot nach Australien - in vielen Schritten

29.08.2008

 

 

Nana Glen, Australien

Bromberger Karnickel und andere Abenteuer

Es ist 9.30 vormittags in Nana Glen, seit mehr als zwei Tagen immer noch sogenannter Winter. Kühl ist es und Sonne wechselt mit leichtem Regen, den wir hier ja immer sehr gebrauchen können. Habe mein, wie immer, sehr wichtiges Frühstück gehabt, die Hunde mit dem täglichen Spaziergang zum Fluss zufrieden gestellt.

Charly, mein King Charles Pinscher, klemmt sich, wie immer, zwischen meinen Rücken und die Sitzlehne, so dass mein armer Hintern nur wie an einem Fingernagel an der Sitzkante hängt. Er gewinnt immer, was bedeutet, dass ich ein Schwächling bin, oder ein weiches, liebendes Herz über besagten, leidenden Hintern schlägt. Ich beschließe, die Entscheidung nicht zu treffen, Charly von seinem Platz zu verscheuchen oder nicht. Ich bin einfach zu feige oder zu bescheiden. – Schon wieder eine Entscheidung, der ich einfach entfliehe.

Also, ich versuche den zweiten Teil der Bromberger Erinnerung ins Leben zu rufen!! – Eisiges Schweigen – Warum denn nur??? Ist da nichts geschehen?

Nichts berichtenswert???

Die Hühner sind ja schon vorbeigeflattert und werden nur noch mal später in betrüblicher Weise auftauchen müssen. Oh ja! – Da sind ja noch die Hasen (sprich Kaninchen) im Pfeffer, wie es wohl erlaubt ist zu sagen.

Um von den Kaninchen zu sprechen, muss ich wohl mit Vater beginnen, denn er war so ziemlich der Einzige, der noch große Begeisterung an selbigen empfand.

Nicht, dass sie nicht sehr schön anzusehen und auch sehr verschieden waren, jedoch auch eine Menge, ja, KINDERARBEIT verlangten.

Darüber herrschte unbedingte Klarheit, besonders nach Vaters Meinung.

Ich war ja noch ziemlich klein, auch wenn mein Zeigefinger (wie schon erwähnt) auf anderem Felde Beschäftigung gefunden hatte. So glaube ich, dass es mehr meine älteren Brüder waren, die der Hund gebissen hatte.

Schön und vernünftig war der Kaninchenstall gedacht und ausgeführt. Ich glaube, wenigstens 3,5 Meter lang, 2 Meter hoch, ungefähr 85 cm tief, aus Holz gebaut mit weit überhängendem und mit Teerpappe gedecktem Dach als Wetterschutz. Ich glaube, dass der Stall wenigstens drei übereinander liegende Reihen mit je vier Käfigen beherbergte. Jeder Käfig hatte einen grillartigen Boden, um den reinlichen Tieren ein unbewusst gezieltes Scheißen zu erlauben, ohne mit den Geschossen für lange Zeit in Berührung zu bleiben. Denn unter den Gitterböden, in Backofenmanier, waren herausziehbare "Kuchenbleche".

Ich glaube mich zu erinnern, dass an diese Bleche, auf höchstem Befehl, sich fast täglich meiner Brüder zarter Händchen zu klammern hatten, um ausgelehrt, abgekratzt und mit Sägemehl bestreut zu werden. All das in der Erwartung seitens des liebenden Vaters, eine natürliche, heitere Freude auf meiner Brüder Gesichter zum Ausdruck zu bringen. – Hier darf ich bescheiden anmerken, dass Eltern nicht unbedingt immer Recht haben!

Diese Kaninchen entwickelten eine große Liebe zu Vater. Und dieser wiederum entwickelte schnell den Ehrgeiz, auch ein Züchter von anständigen Produkten zu werden.

Hier gleich ein großes Drama, das wirklich passierte. Vater hatte einen sehr schönen, starken, osterhasenbraunen Rammler erstanden, den er als einen großartigen Begatter beschäftigen wollte (was diese Tierchen ja so ganz besonders zu tun lieben, mit unfehlbarem Erfolg, beneidet von so manchem männlichen Menschenbürger).

Einer der Käfige blieb immer unbewohnt, um das jeweilige Kaninchen, dessen Käfig gerade gesäubert wurde, vorübergehend aufzunehmen.

Da war auch eine ebenso farbige Häsin in einem eigenen Käfig, wohl entfernt von dem großen Liebhaber. Vater war stolz und erwartungsvoll.

Hier muss ich nun einschieben, dass die Kaninchen als eines unserer beliebtesten Sonntagmittagsessen dienten (kein fettes Fleisch). Dies war auch einer der Gründe, weswegen wir sie hielten. Denn es war Krieg, und der war schon fast verloren, und Lebensmittel gab es nur auf Marken. Zum Überleben musste man selber Nahrungsmittel produzieren.

Es ist fast unmöglich zu erkennen, was ein Männchen oder ein Weibchen unter den Kaninchen ist, selbst wenn man sie bei ihrer Liebesbeschäftigung überrascht. Haben sie nun noch die gleiche Farbe, ist es gänzlich unmöglich.

Vaters Chauffeur musste es immer übernehmen, der Mörder unseres Sonntagsbratens zu sein. Wie groß war die Überraschung und noch mehr das Entsetzen, als Vater entdeckte, dass die zum Verspeisen vorgesehene Häsin in Wirklichkeit der zur Aufzucht geplante Rammler war.

Ein kindliches Versehen beim Stallausmisten, das mein temperamentvoller Vater keinem seiner unschuldigen Kinder verzeihen konnte und wollte.

Malt euch die Folgen selber aus, denn ich verlor das Bewusstsein, und so auch die Erinnerung an Selbige.

Etwas Seltsames aus dem kurzen Jahr in Bromberg will ich berichten. Es gab mir große Rätsel auf und nie eine genügende Erklärung.

In unsere Strasse, gerade uns gegenüber, wohnte unter anderem auch eine große, kurzhaarige braune Hündin. Nichts Besonderes oder Liebenswertes. Ganz und gar nicht. Und dann war da auch noch ein ziemlich kleiner Kläffer, männlich, schwarzweiß gefleckt, vielleicht ein Foxterrier oder einfach eine Promenadenmischung.

Nun, mehr als oft, sah ich die beiden zusammen, und mit "zusammen" meine ich, "zusammen", und zwar durch eine unsichtbare Verbindung, oder ein Verbindungsglied, hing der kleine Köter, die Hinterbeine 10 Zentimeter in der Luft, Hintern an Hintern von besagtem Hundefrauenzimmer herab. So trabten die beiden oft die Strasse entlang. Sie vorwärts, er rückwärts und nur auf den Vorderbeinen. Rätselhaft war mir das oft und immer, und die Erwachsenen schienen auch nur verstohlen in ihre Richtung zu schielen. – Was sollte da wohl geschehen sein??? Und so Neid erregend oft und offen. Noch heute schüttele ich den Kopf in Unverstand.

Sagt mir doch, was mag das wohl gewesen sein???

Eine andere, recht schreckliche Sache war eine allgemeine Schulimpfung gegen irgendetwas, das ich vergessen habe. Nicht vergessen konnte ich jedoch die Schmerzen und allgemeine Pein, die sie fast jedem in der Stadt bereitete. Der Impfstoff war verdorben. Fast jeder Kinderarm entzündete sich. Christiane traf es besonders schwer in unserer Familie. Ihr Arm vereiterte gefährlich und noch heute hat sie eine deutliche Narbe davon. Ich bekam nur so etwas wie ein Furunkel, doch gab es sogar Todesfälle. Nur das Ende des Krieges verhinderte eine erfolgreiche Untersuchung.

Da ist doch noch mehr zu erzählen von Bromberg und unserer kurzen Zeit dort, die Flucht und viel mehr. Es wird also eine weitere Erinnerung folgen müssen.

Für heute ist also Pause. Nanna Gen 12.30 PM