Ein neues Haus war für uns
gebaut worden, ganz nach Vaters und auch der Kinder Wünsche.
Hier muss ich ein bisschen
erklären.
In Zoppot hatten wir, glaube
ich, nur eine Toilette im Badezimmer. Mit so vielen Leutchen war da ganz
klar oft ein peinliches Gedrängel, geladen mit Angst und Verwünschungen
(Hauptmann von Köpenik!!! vor dem Stationsklo: "Wer scheißt denn da so
lange??!!")
Nun, als es zu dem neuen
Haus in Bromberg kam, da wünschte sich jeder von uns ein eigenes LOO
(=Klo).
So geschah es denn, dass wir
wenigstens fünf verschiedene Toiletten im Haus verteilt hatten. Oben,
unten im Keller und in der Mitte.
Es war ein Segen – ein ganz
kleines, gemütliches Loo war auf dem Treppenabsatz zum ersten Stock. Es
war das einzige, das wirklich zählte. In Sitzaugenhöhe war zur Linken
ein Fenster hin zum Garten, ziemlich groß, doch davon später mehr.
Also, dieser kleine Ort, der
mir wohl damals schon meine nie versiegende Bevorzugung kleiner Räume
eingepflanzt hat, war von allen schnellfüßigen Mitgliedern unserer
großen Familie geliebt und verehrt. Die Regel war "wer zu erst kommt,
mahlt zuerst". (Hier kommt unsere Ahnentafelverwandtschaft zum Müllertum,
zum Vorschein.) Also weiter im Text.
Auch Vater, der Würdigste
von uns allen, liebte dort zu verweilen, unter anderem versuchend, auch
die italienische Sprache zu erlernen – wenigstens wurde das so durch
Irma Ella meinem Gedächtnis vermittelt.
Um der ganzen Sache gerecht
zu werden, muss ich nun ans andere Ende der Geschichte eilen. Das war
also das tägliche Mittagessen.
Oder besser gesagt, jede
Form von gemeinsamer Tafel.
Ich sagte ja schon mal
früher, dass das, was auf den Tisch kam, auch gegessen werden musste.
Ein anderes Gesetz war, dass, wenn alle fertig gegessen hatten, wir uns
reihum an den Händen fassten, selbige zur Schulterhöhe hoben, und uns
dann mit Singsang im Chor und einem rhythmischem Auf- und
Niedergeschwinge eine "Gesegnete Mahlzeit" wünschten.
Das war ja alles recht schön
und gut, doch erfolgte es aus mehreren Gründen. Der Wichtigste war, uns
an den Tisch zu fesseln und keinem den Vorsprung zu dem geliebten Loo zu
ermöglichen, und das war, worauf Vater sehr drang. Denn er wollte
natürlich auch, in würdevoller Weise, der Erste am "ORTE" sein. Wenn
einer von uns Kindern schon den Fuß hinterm Stuhl hatte und den
Hosenlatz schon zur Tür ausrichtete ... erbarmungslos wurde er
zurückgepfiffen, die Hände wieder verkoppelt. (Ihr seht, eine spannende
Tischzeit!!!)
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Bromberg, Tannenstraße 14
2010 - jetzt befindet sich
in dem Haus eine Seniorenbegegnungsstätte. Gottfried checkt die
Toiletten - eine ist gerade besetzt -, sucht verzweifelt die Toiletten 6
und 7 ... und hat vergessen, dass es doch nur 5 waren ...
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Ja also, wir kamen nach
Bromberg, ich glaube, ein Jahr nach dem fatalen "Blutsonntag". Das war
ein Tag in der Geschichte, wo erst die Polen, die ja doch viel mehr zu
Bromberg gehörten als wir Deutschen, sich gegen die Deutschen auflehnten
und ziemlich viele von ihnen umlegten. Darauf folgte auf dem Fuße die
Deutsche Wehrmacht und vollendete die blutige Geschichte.
Es muss grausig gewesen
sein. Die Atmosphäre blieb auch noch in dem Jahr gespannt, als wir dort
lebten. In dieser Zeit wurden noch Gerippe im Walde gefunden, und viele
Leute blieben verschollen.
Nun, das Haus hatte einen
recht großen Garten, der an einen weiten Truppenübungsplatz grenzte.
Sehr aufregend für uns Kinder und ein guter Auslauf zum Ausbüxen.
Andererseits waren da noch nicht viele Pflanzen oder Bäume im Garten,
denn er war kaum ein Jahr alt.
Ein mit Hühnerdraht
eingezäunter, niedrig mit Draht überspannter Hühnerauslauf war an ein
Kellerfenster angeschlossen. Im Keller war also unser neuer Hühnerstall.
Schön ausgelegt mit Brutnestern, Schlafstangen, Hühnerleitern. Um den
Zirkel voll zu schlagen, da waren auch Hühner. Jedes von uns Kindern
hatte sein eigenes und Vaters war Hannibal (ein sehr stolzer, weißer
Hahn und nicht ganz ungefährlich, wie Vater am eigenen Leibe erfuhr, als
er einmal aus irgendeinem Grund in den niedrigen Auslauf ging, gebückt,
wie es nicht anders möglich war, und Hannibal ihn in Verteidigung seines
Reiches angriff und ihn ganz schön kratzte).
Ich muss mitteilen, dass ich
den Namen meines eigenen Huhnes vergessen habe. Es war ein mattschwarzes
und ziemlich langweilig.
Hans hatte das auch von
mir Geliebte, ein pechschwarz Glänzendes, der "Schwarze Panther"
genannt. Heinz hatte ein großes, rundliches, schwarzgrau gemottelt,
Frau Kobel genannt, nach unserer Zoppoter Milchladen Frau, an die es uns
sehr klar erinnerte.
Ernst hatte "Dummerle".
Einen Namen, den es verdiente, als es ihr erstes Ei auf der
Schlafstange sitzend legte. Sie war schön, in der Falbenfarbe der
Haflinger Bergpferde und eine ausgezeichnete Mutterhenne mit vielen
Nachkommen, die alle gegessen wurden. Meistens in Eiform. Dann waren da
zwei weiße Leghorn, Schneeweißchen und Rosenrot genannt, und die
gehörten Christiane und Gudrun. Eckardt hatte kein eigenes, er war ja noch kaum
ein Jahr alt. Zwei unbenannte, fette Rodeländer Hennen mit rostrotem
Gefieder gehörten noch dazu, und öfter eine Schar Küken, die bald das
Zeitliche segneten, wenn sie essbar erschienen. Außer einem. Das hatte
einen Buckel und machte dem "Glöckner von Notre Dame" alle Ehre. Oft
gedachten wir es zu erlösen, doch Vater gab ihm immer wieder eine
Chance. Er behauptete, es sei "zusehend wachsend", und den Namen trug es
denn auch mit nur ganz wenigen, verkrumpelten Federn am Schwanz bis zu
seinem baldigen Hinscheiden.
Warum ich so viel von den
Hühnern schreibe und mich an sie erinnere, ist, weil, der polnischen
Sitte folgend, wir die Hühner, die am Tag Eier zu legen planten, nicht
aus dem Kellerfenster herausließen, bis sie dieses erledigt hatten.
Es war nun meine tägliche
Aufgabe, die Hühner am Morgen herauszulassen. Der Grund lag darin, dass
ich, allzumal ein zarter Jüngling von neun Jahren war, und überhaupt
schon beschlossen hatte, "Obertierarzt" zu werden (was mir denn ja auch
später ganz gewaltig misslungen ist, ja nicht einmal versucht wurde!!) –
Immerhin ist es mir in jenen Tagen täglich gelungen, in dass Innenleben
der Hennen einzudringen. Um herauszufinden, welches denn wohl ein Ei im
Hintern hatte, fertig, um heraus zu wollen, musste, polnischer
Bauernsitte folgend, mein zarter, wohl beschnittener Zeigefinger in die
leicht zu öffnende Hintertür einer jeden Henne eingeführt werden. War da
ein gewisser Widerstand, widerstand ich der Versuchung, die Betreffende
in den Garten zu entlassen. Sie legte erst ihr Ei, um dann dem Hannibal
zu folgen. Der war übrigens sehr sprachgewandt. Jeden Morgen saß er
scharrend auf dem Sims vor dem geschlossenen Fenster und in gurgelnden
Ton, doch in einem ganz klaren Satz, sprach er wiederholt "Lass mich
bitte raus, lass mich bitte raus!" Ich schwöre, es war ganz klar und
verständlich. Ich höre und liebe es noch heute, wenn ich an ihn denke.
Gerade nun überfällt mich
eine ungewohnte Trauer und eine Schwermut bei all diesen alten Gedanken,
und so beschließe ich denn für heute Brombergs Geschichte hier zu
unterbrechen, und daraus eine zweiteilige dritte Erinnerung werden zu
lassen.
Verehrenswerte Leser,
lasst’s Euch nicht verdrießen. Ich hoffe, ihr könnt das Bisherige
verdauen und genießen.
Bis bald.......
Gottfried F. .... Nana Glen, 12AM
Nachtrag:
Da kommt mir gerade in den
Sinn, die Novelle, oder einfach eine kleine Geschichte, des
"Leinwandmessers" von Nicolei Leskow, denke ich.
Ein Russe natürlich, der
aber, wie sollte es anders sein, ganz wunderbar erzählen konnte. Es ist
die Lebensgeschichte eines Schecken, eines alten Pferdes, das ganz
phantastisch als Pferd war, aber ein Schecke!! Wenn Du es nicht gelesen
hast, versuche es zu finden. Ich wollte, ich könnte es noch mal lesen.
Ich las es vor langen, langen Jahren. Immer wieder taucht es auf in
meiner kleinen Seele und schauert mich.
Auch ich bin ein alter
Schecke. Gottfried.
Nächster Nachtrag:
… der morgen, oder bald, zum
Necker geschickt wird. Die Einbahnstrasse des Lebens hat ein gemeinsames
Ende!! Love again, Gottfried
Nächster Nachtrag:
SORRY, Tolstoi is it!
Tolstoi und nicht Lieskow. Never mind, beide sind so nah zum Leben in
des Herzens Gedanken. Gruß, Gottfried
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Wikipedia:
Bromberger
Blutsonntag |