Nana Glen, Australien
Mehr aus Zoppot
Also, Hans hat mir
da so ein paar Leviten gelesen, und da bin ich denn ja auch sehr dankbar
für. (Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft, und seine ist mir
besonders ans Herz gewachsen.) So werde ich also versuchen, richtiger zu
schreiben, auch, wenn das den Lauf aufhalten kann. Hier in Australien
haben die Computer kein "ä-ö-ü" auf der Tastatur. Sehr zu meinem Kummer.
Ich habe einen "meinen"
Bericht gelesen und bin sehr froh, dass er genau so geblieben ist, wie
ich ihn verbrochen habe. Nur ohne Fehler und übersichtlicher. Danke dir
sehr dafür.
Dieses sich Erinnern ist
eine Pest geworden. Ich wache auf in der Nacht, und fange an, in
versteckten Gehirnkammern zu stöbern. Suchend und findend, und
schwerlich wieder einzuschlafend.
Alt, wie ich bin, wache ich
ja immer mal wieder auf. Doch dann hab ich immer eine der Lyrik-CDs von
Görners Würfel auf dem CD-Spieler, die mich, manchmal unter Tränen, in
den Schlaf gleiten lassen. Diesen Lyrikwürfel will und muss ich doch
jedem, Freund und Feind, empfehlen.
Er besteht aus 50 CDs Lyrik,
beginnend im 18. Jahrhundert bis auf den heutigen Tag. Gesprochen von
Lutz Görner. Überwältigend. Ich bin Hans lebenslang dankbar, dass er
sie mir geschenkt hat.
Was da so auf dieser Welt an
Geist, Herz und Denken gelebt und gelitten hat, zieht dir die Schuhe
aus. Droste-Hülshoff!!!!!!!! Enzensberger, Pablo Neruda, Robert
Gernhardt, Anna Louise Karsch, Puschkin, Heine, ach es ist einfach
fassungslos reich und schön und traurig auch. Dies waren meine
schlaflosen Nächte bis jetzt.
Nun krieche ich durch
Erinnerungsröhren, die oft verstopft und abgeschnitten sind.
Manchmal sind sie sogar
verdreckt oder falsch, denn die Bilder sind ja doch sehr alt und
verschwommen. Dennoch werde ich das Ausmalen weitermachen. Wer weiß, was
da kommt?!
All dies ist nur ein
Einwurf. Die Quälerei soll weiter gehen.
________
Und da stoppt es auch schon.
Wo war ich? Wo will ich hin?
Ja, ich bin noch in Zoppot.
Wenigstens bis 1942. Gehe zur Schule, ohne beeindruckendes Geschehen;
doch wohl ein glückliches Kinderleben in großer Familie.
Der wunderbare Ostseestrand
war nahe bei. Herrlicher Sand, flaches, klares und warmes Wasser (nur im
Sommer), Bernsteinsplitter finden und sammeln, kleine Teiche buddeln und
mit Stichlingen bestücken. Wunderbar!!
Da kann ich euch darauf
aufmerksam machen, dass dieser Ostseestichling ein ganz besonderer
Schlingel ist. Er ist nur fingerlang, flink, hat aber keine Feinde, denn
auf dem Rücken und an beiden Unterseiten hat er einen 2cm langen
anliegenden Stachel, den er bei Gefahr aufrichtet und sich damit zur
igelgleichen Festung macht.
Die braucht er aber auch,
denn er ist der Vater einer großen, winzig kleinen Kinderschar, die er
ihren zahlreichen Müttern beinahe vor der Geburt entführt hat.
Nun schwimmt er inmitten
seiner großen, winzigen Schar herum. Kommt ihm einer jedoch zu dumm,
dann öffnet er sein kleines großes Maul und husch, die ganze Schar ist
eingesaugt, hereinbefohlen, in Sicherheit, die Stacheln drohen........
Ihr seht?!
Die verbleibende Gefahr ist
nur, dass der treue Vater husten könnte und einige seiner Kinder
verschluckt. Doch hat er ja so schrecklich viele. (Verzeiht, dies hat ja
eigentlich nichts mit mir zu tun. Es kam nur so angeschwemmt).
Dann war da am oberen Ende
von Bülowallee Nr. 14 (unserem Haus), der Schidlitzkegel, und auf ihm
viel Tannen, und auch Laubwald. Blaubeeren! Pilze sammeln taten wir oft,
glaube ich. Jedenfalls erinnere ich mich an die fantastisch gelben,
verkrempelten Pfifferlinge und ihren Geschmack. Steinpilze, und die
märchenhaften, roten mit weißen Tupfern und Füßen bedachten
Fliegenpilze. So verlockend und giftig. Ich glaube, sie haben LSD in
sich. Ein, nun schon toter Freund, hat in seiner Jugend sich eingesperrt
und ein Versuchsessen vorgenommen. Er erzählte mir, dass er beinahe
gestorben wäre und die furchtbarsten Schreckensträume hatte, die drei
Tage dauerten. (Also seid gewarnt.)
Da fällt mir ein, dass auch
ich vor ein paar Jahren Pilze in die Suppe (zu der ich eingeladen war)
geschmuggelt bekam. Es waren "Goldies", die klein und golden sind,
ähnlich Pfifferlingen und auf Kuhweiden wachsen.
Mir wurde wunderlich und
ganz absonderlich und alle Kraft zog aus den Beinen durch den Hintern in
die Wirbelsäule und ließen mich sehr sonderbarwarm und glücklich sein.
Ich wusste nicht was es war,
denn keiner erklärte mir die fatale Tat..... also, es ist eine schöne
Erinnerung für mich und ein bisschen geisterhaft. Habe es nie wieder
genossen und würde es auch nicht wagen.
Der Schidlitzkegel war auch
unser Ski- und Schlittengelände. Ziemlich steil und rundlich. Dann war
da die Waldoper, tief im Grünen und heute wohl wieder sehr im Gebrauch
(wie Hans berichtete). Auch war da ein schöner Waldtiergarten
(Sternkreuz oder so, glaube ich) mit Rehen und, ganz bestimmt, Bibern,
diesen großen Wasserratten mit dem Tischtennisschwanz. Auch eine
Igelfamilie kam manchmal durch unseren Garten. Zwei Eltern und drei
kleine im Gänsemarsch.
Ja und dann, irgendwann, ich
glaube, 1943 oder so, brachte Hans ein kleines, schwarz-weißes
Kaninchen nach Hause. – Na, wir Kinder waren aus dem Häuschen vor
Freude.
So war auch der Vater! Doch
aus ganz entgegengesetzten Gründen.
"So etwas kommt mir nicht
ins Haus!!! Oh nein!!!!" (Die Gründe habe ich vergessen und sehe sie auch
heute noch nicht ein.)
Wir Kinder fielen auf die
Knie mit Bitten und Geschrei um Erbarmen für uns und "Gretchen", denn
das wurde des kleinen Kaninchens Name, und, um es gleich zu sagen, sie
war und entwickelte sich in eine "Deutsche Riesenschecke", eine der
großen Rasse = nicht klein!
Also gut, wir durften sie
behalten, doch nur unter der Bedingung, dass wir ganz furchtbar gut für
sie sorgen würden. Das tägliche Futter im Garten und am Straßenrand
sammeln, den kleinen Stall blitzsauber halten, Schulaufgaben pünktlich
machen, den Eltern die Wünsche von den Augen ablesen, (auch von hinten),
kurz, eine Fesselung fürs Leben. Schatten davon, ich bin sicher,
beeinflussen noch heute die nächtlichen Träume der Eltern meines Vaters
Enkelkinder!!
Um dieses Kapitel zu
schließen, will ich nur noch kurz berichten, dass dieser, unser Vater,
eine sadistische Liebe für Kaninchen entwickelte.
Ja, ja. Er nahm uns beim
Wort. Besonders mit dem Stall ausmisten, und das mitten in der Nacht im
Nachthemd, wenn es versäumt worden war. Doch, oh Graus, nicht lange
später, in Bromberg, im Garten entstand ein stattliches Haus. Groß, mit
überhängendem Dach und drei Käfige hoch und wenigsten sechs Käfige
breit. Mit Futterkrippen und doppelten Boden zum Ansammeln der, vergebt
mir, angesammelten "Scheiße"!!!! Wie herausziehbare Kuchenbleche voll
Shit. Ich bin fast sicher, dass wir Kinder das öfter als genau DAS
empfunden haben – Also, davon wird noch mehr in der Zukunft zu erfahren
sein.
Da sind noch zwei Dinge der
Zoppoter Zeit, neben all den vielen, die aufzuwachen drohen.
Eines ist, dass ich zur
aktiven Teilnahme am politischen Deutschland gezwungen ward.
Es war durch die Schule.
Ohne erkennbaren Grund wurden eines Tages alle Schüler auf die Strasse
gejagt und zu langen Trippelreihen gezwungen, so lange die Schüler
ausreichten.
Einfach nur so dazustehen
und zu warten.
Ja, und dann kam da also
eine kleine Panzerspähkolonne herangerollt. Ein Mann in Uniform ragte
aus dem ersten Wagen, um, er konnte es nicht lassen, uns unschuldige
Kinder mit Bonbons zu beschießen.
Das war also unser großer
Führer, Adolf H.
Auch ich bekam einen Lolly
und lutschte ihn, anstatt meine erste und letzte Gelegenheit zu nutzen,
mit kühner Tat und wohlgezieltem Bonbonwurf den zweiten Weltkrieg zu
verhindern.
Die zweite Sache ist viel
phantastischer. Das war, ich glaube 1942, als der Winter so streng war,
dass die Ostsee, so weit man sehen konnte, richtig tragfest zugefroren
war.
Sicher weiß doch ein jeder,
dass Zoppot einen sehr langen und breiten (vielleicht 1000m x 11m)
Seesteg sein eigen nennt. Eine feste Strasse und mit Geländern versehene
Wege sind darauf, und das ganze ruht auf dicken mächtigen Holzpfählen.
Hunderte. Und im Wasser.
Wind und Wellen peitschen
das Wasser die Säulen hoch. Im Frost kam das Eis bis hoch zur Decke. Wir
konnten unter dem Steg weit rauslaufen, vom Eispalast zum Festsaal,
durch Korridore in Märchenkammern. Zwerghöhlen und Riesensofas. Es war
phantastisch, unglaublich. Und das Licht und der Glanz und Schimmer und
all die Eiszapfen. Grünlich glänzend wie hunderte von
Riesenrotznasen.....
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Der Schidlitzkegel wird auch in den Memoiren von einem Günter Althoff
erwähnt - klicke
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