Von großer Wichtigkeit
für die
Ortschaft Güttland und seine Einwohner war die Eröffnung der Ostbahn mit
der Abzweigung Dirschau-Danzig
am 5.August 1852, durch welche der
Verkehr mit Danzig
wesentlich erleichtert wurde, in dem man nur mehr von dem eine kleine
Stunde von Güttland entfernten Bahnhof Hohenstein die Fahrt nach Danzig
mit der Eisenbahn in 40 Minuten zurücklegen konnten und die ganze Reise
von Güttland nach Danzig 1 ½ Stunden erforderte.
Ich erinnere
mich noch deutlich, daß mein Vater in den ersten Tagen nach der
Eröffnung der Bahn, mit einem Fernrohr vom Bodenfenster aus die von
Dirschau nach Hohenstein dampfenden Züge an der Mühlbanzer Kirche vorbei
beobachtete und uns Kinder auf die Schnelligkeit, mit der man den Zug
sich bewegen sah, aufmerksam machte, wie der Dampf der Lokomotive jetzt
hier und nach wenigen Minuten schon an ganz anderer Stelle zu sehen war.
Auch die totale Sonnenfinsternis im Jahre 1851 und ein gewaltiger Komet,
in der Mitte der 50er Jahre wurden von der ganzen Familie mit
Interesse
beobachtet und als wichtige Ereignisse empfunden, so daß mir einzelne
Szenen aus jener Zeit, wo wir z.B. mit rauchgeschwärzten Gläsern auf die
Wiese hinter der
Scheune
wanderten, um die allmähliche Verfinsterung der Sonne zu beobachten,
noch frisch im Gedächtnis sind.
Besonders traurige
Ereignisse waren für meine Eltern der Tod ihrer ältesten Tochter Marie,
die in Stettin an den Kaufmann Franz Fuhrmann verheiratet war, am 23.
November 1866, und der Tod ihres jüngsten Sohnes Richard, der sich in
Metz als Degenfähnrich im 45.
Infanterie - Regiment,
am 17.
März 1872, aus
Gründen, die niemals ganz aufgeklärt worden sind, erschoß.
Mein Vater, der ebenso
wie meine Mutter so gut wie niemals ernstlich krank gewesen war und sich
allzeit einer sehr festen Gesundheit erfreute, erkrankte plötzlich im
Frühjahr 1876 und mußte sehr gegen seinen Willen sich
in ärztliche Behandlung begeben; seine Krankheit war ein Nierenleiden,
das bald von dem behandelnden Arzte Dr. Scheele - Danzig als Nierenkrebs
erkannt wurde. Eine Badekur in Wildungen, die mein Vater in Begleitung
meiner Mutter im Juli 1876 durchmachte, hatte keinen Erfolg.
Zwar nahm er
noch einmal nach Beendigung der Kur im August 1876 seine amtliche
Tätigkeit wieder auf und predigte auch noch an einigen Sonntagen in der
Hoffnung, daß, wie er sich ausdrückte, “Kanzelholz, gesundes
Holz"
für ihn sein werde; aber bald mußte er einsehen, daß seine Kräfte mehr
und mehr schwanden, und dem Rate und der
Bitte seiner
Familie folgend, bat er das Königliche Konsistorium um Versetzung in den
Ruhestand. Am Erntefest, den 1. 0ktober 1876,
hat er zum
letzten Male
Gottesdienst gehalten und die Kanzel bestiegen. Es folgte nun ein langes
Krankenlager,
auf dem er mit
großer Geduld und festem Gottvertrauen viele Schmerzen erduldete; nur ab
und zu vermochte er unter Anwendung von Morphium für einige Stunden das
Krankenbett zu verlassen, und man konnte dann seine alte geistige
Frische und sogar die ihm angeborene Heiterkeit sich
geltend machen
sehen, bis
ihn
körperlicher Schmerz von neuem zwang, sich niederzulegen.
Am zweiten
Weihnachtsfeiertage haben mein Schwager Franz
Fuhrmann und
ich meinen Vater
zum letzten
Male in Güttland
besucht und gesehen, und rührend war der Abschied, den er von uns nahm.
Ich hatte gerade in jenen Dezembertagen die Nachricht
erhalten,
daß ich zum
Direktor
einer
neu
zu errichtenden
höheren Lehranstalt zu
Osterode in
Ostpreußen
gewählt worden
sei und daß ich zu Ostern 1877 mein neues Amt antreten sollte. Auf einem
Lehnstuhle in der
„Schlafstube",
dem nach Nordwesten gerichteten
Eckzimmer, an
dem Sophatische
sitzend, sorgsam eingehüllt in wärmende Decken, besprach er mit mir
lebhaft und sachlich die neuen mich erwartenden
Aufgaben, und als er die Schmerzen wiederkommen fühlte,
bat er mich
wohl im Bewußtsein,
daß es hienieden der letzte Abschied von
ihm
sein werde, vor seinem Sessel niederzuknieen,
damit er mich segne, was er mit schlichten und einfachen aber um so
eindringlichen Worten tat,
die auf mich,
meine Mutter und Schwager Franz einen tiefen Eindruck machten. Am 29.
Dezember 1876
vormittag um 9 Uhr ist mein Vater selig in Gott entschlafen im 69.
Lebensjahre,
und am 3.
Januar 1877 auf
dem Friedhof zu Güttland unter sehr großer Beteiligung seiner Gemeinde
und seiner Amtsbrüder vormittags beerdigt worden. Am Sarge in Pfarrhaus
hielt sein ältester Freund, der Superintendent Pohl, eine Ansprache, in
der Kirche predigte der Pfarrer Johannes Schaper aus Wotzlaff (der
Wortlaut der Predigt
unter Nr.7
der Anlagen),
und der Pfarrer Mischke aus Gotteswalde leitete den liturgischen Teil
der Trauerandacht. Am Grabe hielt Prediger Hardt aus Osterwick noch eine
längere Rede. Er hatte den Verstorbenen in den langen Wochen vor
dessen
Krankheit häufig im Gottesdienst vertreten, ihn auch sonst vielfach
besucht, und die beiden
waren sich sehr nahe getreten.
Rührend war es
anzusehen, wie Prediger Hardt, indem er
bemüht
war, die
Hinterbliebenen
zu
trösten,
kaum den eigenen Schmerz bekämpfen konnte. Er kniff sich in
die Hände, um
seine Selbstbeherrschung
zu bewahren.
Der Text seiner
Rede waren
die Worte:
“Und
wer da kam und sahe, daß Ahasiel
tod lag,
der stand
still!"
Have pia
anima!
Meine Mutter Mathilde
Pauline Wüst, geb. Bulcke, überlebte den Vater noch volle 17 Jahre und
erreichte ein Alter von 83 ½ Jahren.
Nach Auflösung
des Güttländer Hausstandes siedelte sie nach Danzig über und wohnte
anfangs im Fuhrmannschen Hause, Lastadie 40, dem städtischen Gymnasium
schräg gegenüber bei ihrer Tochter Hermine Fuhrmann,
später bei
ihrem Sohne Fritz und ihrer Schwiegertochter Jenny Wüst, geb.
Bulcke, in der
Heiligen Geistgasse im sogenannten
Kaiserhof,
wo sie am 15.
November 1893
auch gestorben ist; in den Sommermonaten weilte sie alljährlich gerne
längere Zeit in Orte bzw. Peterhof bei ihrer Tochter Auguste und ihrem
Schwiegersohne
Dr.
Ferdinand Chomse, dem
Besitzer des Majorats Orte - Peterhof im Graudenzer Kreise. Meine Mutter
hat nach dem Tode des Vaters noch viel Freude, aber auch viel Leid
erlebt: Enkelkinder wurden geboren und wurden groß und die Liebe ihrer
Kinder und Schwiegerkinder blieb unverändert und alterte nimmer, aber
viele ihrer Lieben gingen ihr im Tode voran: ihre geliebte Tochter
Mathilde Chomse, ihr Schwiegersohn Max Chomse in Orle, ihr Sohn
Johannes, ihre Schwester Franziska,
ihr Bruder
Richard u.a.
Noch in hohem Alter
war sie tätig und suchte sich,
wo ihre
Betätigung willkommen war, nützlich zu machen und zu helfen, bis des
Alters Gebrechen sich fühlbar machten und ihrer müden Hand der
Wanderstab entglitt. Sie ist neben ihrem geliebten Manne auf dem
Güttländer Kirchhof begraben, wo sie von des Lebens Unruhe unter schönen
schattigen Bäumen ausruht bis zum jüngsten Tage.
Ich liege und schlafe
ganz mit Frieden;
Denn allein du, Herr,
hilfst mir, daß
ich sicher wohne.
Psalm 4, Vers 9 |
Preußische Ostbahn |