Bald
nach dem mein Vater sein Amt
in
Pröbbernau
angetreten
hatte,
war er auch mit
dem Rittergutsbesitzer
Birkner
auf Cadinen bei Elbing bekannt geworden,
dem Vater des
nachmaligen Landrats Birkner, welcher im Alter seine Besitzung an den
Kaiser Wilhelm II. gegen
eine lebenslängliche
Rente abtrat. Birkner
fand an
meinem Vater,
der ein
sehr
guter Erzähler
und Gesellschafter war, großes Wohlgefallen, und Fahrten über das Haff
nach dem herrlich gelegenen Cadinen,
im Sommer auf
großem Fischerboot, im Winter zu Schlitten, waren nicht selten.
Gelegentlich
wurden auch einige der Kinder, derer im Laufe der Zeit acht in
Pröbbernau geboren wurden, nach Cadinen mitgenommen, und ich erinnere
mich, daß meine älteren Geschwister einmal von zwei Rentieren uns
jüngeren erzählten, die Herr Birkner sich aus Norwegen hatte schicken
lassen, um sie gezähmt vor den Schlitten zu spannen. Auf einer dieser
Fahrten, einer Winterschlittenfahrt, geschah es, daß das Eis des Haffs,
das bei der Hinfahrt fest und stark gewesen war, auf der Heimfahrt bei
plötzlichen Umschlagen des Windes auseinander barst und große Spalten
entstanden, so daß die Insassen des Schlittens in große Gefahr gerieten.
Wiederholt mußte der Schlitten, so oft er an eine "Blänke" kam halt
machen. Dann wurden mit eisernen Harken, deren mehrere auf dem Schlitten
bei solchen winterlichen Fahrten über das Haff vorsorglich mitgenommen
zu werden pflegten, von dem Kutscher durch meinen Vater unterstützt, von
dem noch feststehenden Eise große Tafeln losgelöst und in die Lücken des
Eises geschoben, worauf zunächst die ausgespannten Pferde, sodann die
Teilnehmer an der Fahrt, zuletzt der Schlitten behutsam über die lose
Eisscholle auf die feste Eisfläche hinüber geführt wurden.
Den am Haff wohnenden
Leuten waren solche Zwischenfälle, auf die sie bei ihren
Schlittenfahrten nach Elbing immer gefaßt sein mußten, nichts
Ungewöhnliches, und so suchte auch bei dieser Gelegenheit und in dieser
Not der Fischer Gnoyke die Meinigen zu beruhigen und ihnen Mut
zuzusprechen, sie dankten aber doch Gott für ihre Rettung, als sie
glücklich zu Hause angelangt waren.
Da ich hier von
weiteren Fahrten spreche, will ich zugleich erwähnen, daß ab und zu,
namentlich im Winter, wenn die Schlittbahn gut war, meine Eltern mit
einigen der Kinder auch nach Danzig und Güttland, wo die Eltern meiner
Mutter eine schöne Besitzung, einen Hof, hatten, zu fahren pflegten und
sich so eine Abwechslung und Erfrischung schufen. Solche Reisen nahmen
immer mehrere Tage in Anspruch.
Auch an eine dieser
Fahrten nach Güttland knüpft sich eine Erinnerung für mich, die zu
erzählen mir besondere Freude macht, da der praktische und humorvolle
Sinn meiner Großmutter Bulcke, einer überaus entschlossenen und
tatkräftigen Frau, die ich schon oben erwähnen mußte, dabei wieder
einmal deutlich zum Ausdruck kam. Es war bitter kalt, als der Schlitten
bald nach dem ersten Frühstück unter der Vorlaube des Wohnhauses in
Güttland vorfuhr, um uns über
Stüblau,
Käsemark, Steegen wieder nach Pröbbernau zu bringen. Die Großmutter
fürchtete für die drei Enkelkinder, sie möchten, obschon in Tücher und
Decken gehüllt, an den Füßen allzusehr frieren, und ließ uns, die wir
unsere Plätze schon eingenommen hatten, wieder vom Schlitten herabheben:
ihr war ein Gedanke gekommen, wie wir die Kälte weniger fühlen würden.
Mit dem Hofmeister Sperling verschwand sie im Stalle, ließ einem großen
Ferkel die Vorder-
und Hinterbeine
zusammenbinden, das Tier dann in einen Sack stecken und es in solcher
Verpackung uns Kindern im Schlitten unter die Füße
legen,
damit es als lebendige Wärmflasche diese den weiten Weg hin warm halten
sollte.
Dem Tiere, das
anfänglich natürlich sich unruhig gebärdete, dann aber stumm und
geduldig sich in sein Schicksal ergeben hatte, bekam die Fahrt nicht
übel, und meine Eltern konnten in Pröbbernau angelangt, überdies ihrem
Viehstande ein wertvolles Stück hinzufügen.
Wir Kinder aber kamen
wirklich mit einigermaßen warmen Füßen zu Hause an und empfanden die
Fahrt von Güttland unter so eigenartigen Umständen als ein interessantes
Ereignis, von dem noch lange nachher erzählt wurde. Der Grund, weshalb
mein Großvater mütterlicherseits, der Fleischermeister und "Großbürger"
Joh. Gottfr. Bulcke aus Danzig
-
Neufahrwasser, die
Besitzung in Güttland, eine der wertvollsten und größten des Dorfes,
erworben hatte, war ganz eigenartig.
Der Großvater
hatte in jedem Jahre sehr erhebliche Fleischlieferungen für die aus
Danzig ausgehenden Kauffahrteischiffe aber auch für die englische Marine
auszuführen und war daher genötigt, alljährlich eine große Herde Ochsen
aufzukaufen, die fett gemacht werden mußten. Bis tief nach Polen und
Rußland schickte er seine Aufkäufer, und namentlich waren es die
schweren podolischen Ochsen, jene blaugrauen schönen Tiere, die die
Aufkäufer heimwärts trieben. Auf den üppigen Weideplätzen des Werders
erholten sich dann die von dem langen und anstrengenden Marsche
ermüdeten Tiere
erfahrungsmäßig am schnellsten und besten, und so kam es, daß die
reichen Danziger Fleischermeister hier und dort im Werder Besitzungen
kauften und so auch mein Großvater Bulcke.
Der Güttländer
Hof, der damals bald nach dem Napoleonischen Kriege für einen geringen
Preis erstanden war, wurde später, kurz vor dem Tode des Großvaters, für
eine große Summe verkauft und ging in den Besitz der Familie Ortmann,
dann später in den eines Herren Paul Wannow über; das Wohnhaus, das zum
Besitztum gehört, liegt auf der linken Seite der Mottlau und ist, wenn
man von Dirschau in Güttland einfährt, das erste große Haus, ein
Laubenhaus, auf dem linken Mottlau-Ufer
unmittelbar neben der über den Fluß führenden Brücke.
Eine sehr erwünschte
Abwechslung in ihrer Abgeschiedenheit brachte meinen Eltern alljährlich
der Besuch der Forstdeputation, die im Aufrage des Danziger Magistrats,
den der Stadt Danzig gehörenden großen Wald auf der frischen Nehrung
bereisten und die Amtsführung der Forstbeamten prüfte.
Die dieser
Forstdeputation angehörenden Herren, Stadträte und Stadtverordnete,
denen sich meistens der älteste Bruder meines Vaters, Fritz Wüst, der
damals sehr bekannte Zigarrenhändler aus der Wollwebergasse,
angeschlossen hatte, fanden in dem Pfarrhause zu Pröbbernau für einen
Abend und eine Nacht willkommene gastliche Aufnahme, und, um meinen
Eltern keine Unkosten durch ihren Besuch zu verursachen, brachten sie
jedesmal alle möglichen Esswaren und gute Weine mit, so daß man mit
ihnen fröhliche Stunden verlebte.
Als später der Badeort
Kahlberg von Sommergästen mehr und mehr besucht zu werden anfing,
konnten meine Eltern in den Sommermonaten wenigstens nicht mehr über
Mangel an Zerstreuung und anregender Unterhaltung klagen. Sehr viele
Herren und Damen aus der Kahlberger Badegesellschaft, selbst solche, zu
denen meine Eltern bisher gar keine Beziehungen gehabt hatten, besuchten
das freundliche benachbarte Fischer- und Kirchdorf Pröbbernau, kamen an
Sonntagen zur Kirche, stellten sich dem Pfarrer und dessen Familie vor
und weilten sehr gerne einige Stunden in dem Pfarrhause, dessen Tür in
einer überdachten Loggia lag, unter den schattigen Lindenbäumen und in
dem Gärtchen vor dem Hause. Bei allen Besuchen, die mein Vater machte
und die er empfing, lugte er scharf nach solchen Männern aus, die Schach
spielen konnten.
Er war ein
recht guter und fast leidenschaftlicher Schachspieler, mit dem ich viele
hundert Partien später gespielt habe, ja, am Schachbrett konnte er, der
sonst zeitig, d.h. meistens um 10 Uhr zu Bett zu gehen gewohnt war, bis
in die Nacht hinein weilen.
Selbst unter
den Fischern fand er einen, der freilich auch der wohlhabendste
Eigentümer des Ortes war und gewisser Bildung nicht ermangelte, den er
das Schachspiel lehren konnte und mit dem er dann oft das geliebte Spiel
spielte.
Viele Stunden
verbrachten meine Eltern in den ersten Jahren ihrer Ehe in Pröbbernau
auch mit dem gemeinschaftlichen Studium der englischen Sprache. Meine
Mutter beherrschte in ihrer Jugend, in Folge ihres fortwährenden
Verkehrs mit englischen Kapitänen und Handelsleuten in ihrem elterlichen
Hause zu Neufahrwasser, das Englische ganz und gar und hatte auch in
ihrer Ehe soviel davon hinüber gerettet, daß sie Lehrerin und mein Vater
der gelehrige Schüler war.
Leichte
englische Schriftsteller vermochte mein Vater bald fließend zu
übersetzen wie z.B.
den Vicar of
Wakefield von Goldsmith u.a.
Die gesamte Tätigkeit
meines Vaters in Pröbbernau, seine seelsorgerische ebenso wie die auf
sozialem Gebiet, fand bei der kirchlichen Behörde von Anfang an eine
sehr wohlwollende Beurteilung.
Das zeigte sich
auch darin, daß er im Dezember 1844 einer der wenigen Geistlichen der
Provinz Westpreußen war, der neben den Superintendenten zur ersten
preußischen Provinzialsynode, die in Königsberg stattfand, einberufen
wurde.
Während mein Vater in
Königsberg weilte, wurde ihm sein
zweiter Sohn, der Schreiber dieser Zeilen, geboren, bei welchem der
Generalsuperintendent der Provinz Preußen D.
Ernst Satorius
eine Patenstelle durch Stellvertretung übernahm und welcher nach diesem
Paten seinen Vornamen "Ernst" bekam. Als zweiten Vornamen erhielt Ernst
den Namen “Leberecht", was in der Folge oft zu Scherzen und Neckereien
Anlaß gab, in dem man "Ernst Leberecht Wüst" in "Ernst,
lebe
recht wüst" verwandelte. Übrigens bot meinem Vater die Königsberger
Synode reiche geistige
Anregung, da er nicht nur Gelegenheit fand, alte Freunde wieder zu sehen
und neue Beziehungen anzuknüpfen, sondern auch in Kreise kam,
die ihm sonst
nicht so leicht zugänglich waren; der Oberpräsident, der
Generalsuperintendent und andere hohe Beamte luden die Mitglieder der
Synode zu Gesellschaften ein, bei denen manch gutes und kluges Wort
gesprochen ward: immer wieder zeichneten sich nach meines Vaters Bericht
in den Gesellschaften ebenso wie in den Sitzungen der Synode und
sonstigen Veranstaltungen der Generalsuperintendent D.
Sartorius und
der Konsistorialrat Lic. Dr. Bressler aus Danzig durch ihre geistreichen
Ansprachen und durch Schlagfertigkeit des Wortes in den Debatten aus. |
Kadyny - Cadinen
"1898 überließ der verschuldete Braunsberger
Landrat Arthur Birkner den Landsitz dem deutschen Kaiser Wilhelm II.,
der ihn zu seiner Sommerresidenz ausbauen ließ."
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