Heinz Mandey : Ungeordnete Erinnerungen -
Nickelswalde zwischen 1935 und 1958

Fischerei

Die Fischerei verlief unter den deutschen Fischern nach 1945 sehr harmonisch, auch mit den nun neuen polnischen Kollegen und denen, die es erst werden sollten und wollten.

Während der Kriegsjahre war kaum gefischt worden. Die Fischer befanden sich, wenn wehrtauglich, überwiegend bei der Kriegsmarine. Untaugliche waren selten Fischer. Während der Kriegsjahre vermehrten sich deswegen die Fische in unvorstellbarem Maße.

 

Im Herbst 1946 wurden tonnenweise Silberlachse in der Weichsel gefangen, was es bis dahin noch nie gegeben hatte. Es wurde viel, sehr viel Geld verdient. Den deutschen Fischern war klar, dass dieser Fischsegen purer Zufall war. Deswegen hielten sie das verdiente Geld auch zusammen, denn im Winter, der sich bis in den März hinziehen konnte, wurde nichts verdient. Viele der neuen Dorfbewohner hatten das nicht richtig mitbekommen; einige lebten nach dem Motto „So leben wir, so leben wir alle Tage …“.

1953 / 54: Fischer Bernhard Hübert, Jan Nowitzki und Ernst Friedrich Mandey in Nickelswalde, im Hintergrund die Dünen von Schiewenhorst.

Aber trotz dieser Erkenntnis kam bei ihnen keine Not auf, denn es wurde ja immer noch genug von den Deutschen, die man verjagt hatte, gefunden. Es dauerte auch nicht lange da merkten sie, dass die Deutschen viel Hab und Gut vergraben hatten. Da zogen dann Suchtrupps mit langen dünnen Eisenstangen durch die Gegend und stocherten in der Erde herum und gruben vieles aus. Bei den Schatzsuchern kam so richtig Freude auf. Einige wenige spezialisierten sich auf Friedhöfe, legten die Gräber frei und schauten nach, ob der Leichnam Goldzähne hatte; es hatten viele von ihnen welche … und dabei hatte doch Marschall Jozef Pilsudski schon gesagt, nehmt nicht, was euch nicht gehört.

Zurück zur Fischerei. Der Lachsfang fing Anfang Oktober an und dauerte bis der Frost einsetzte. Das konnte Ende November sein, wenn alles gut ging, dann im Schnitt bis Mitte Dezember.

Für die deutschen Fischer gab es schon bald Probleme, und zwar mit den Fischerbooten. Es gab davon ganz wenige und diese waren nur notdürftig repariert. Die meisten waren entweder total zerstört oder zumindest stark beschädigt worden. Durch Zufall wurden meinem Vater sehr viele neue Bretter angeboten. Er kaufte alle. Diese Menge ergab fünf Ruder- / Segelboote. Gebaut wurden diese von einem deutschen Bootsbauer, der mit seinem Sohn in der Nähe von Kahlberg arbeitete.

Diese Boote wurden von der Fischereigenossenschaft nicht enteignet sondern verblieben als privates Eigentum. Wenig später konnten die polnischen Fischer bei der Fischereigenossenschaft in Schiewenhorst (der Ort wurde nach 1945 zweimal umbenannt, zuerst in Spiewowo, später in Swibno) Fischerboote bestellen. Diese gingen nicht in ihr Eigentum über sondern wurden verliehen (heute würde man wohl sagen, sie wurde geleast). Die Leihgebühr war nicht monatlich fällig, sondern betrug einen geringen Prozentsatz vom Fanggeld. Ich erinnere mich nicht mehr genau aber ich denke, es waren ca. 10%.

Für mich begann der Ernst des Lebens im August 1951. Ich wurde als Jungfischer angemeldet und vom Seemannsamt bestätigt. Meine Begeisterung, nun ein Fischer zu werden, glich einem Ochsen, der zum Stabhochsprung ansetzen soll.

Ich fing bei meinem Vater auf einem Ruder- / Segelboot zu arbeiten. Es war eine Sklavenarbeit, zumindest aus meiner Sicht. Mein Vater war da natürlich ganz anderer Meinung. Nicht selten waren wir Tag und Nacht zum Fischen unterwegs. Bei Sonnenschein war der Fang recht dürftig, dagegen war die Ausbeute bei Sturm, Regen, Hagel und Schnee gut bis sehr gut. Es war recht gruselig auf dem Wasser bei dunkler Nacht und oft bei hohem Wellengang. Hin und wieder war das Heulen von Seehunden zu hören, ein Zeichen, dass du nicht allein da draußen warst. Sehr viel von dem, was ich tat, befand mein Vater als nicht richtig. Aber wenn man vom Vater ausgebildet wird, macht man grundsätzlich vieles falsch, denn aus seiner Sicht muss der Sohn immer besser sein als andere. Irgendwann ist mir das auch klar geworden.

Nun hatte ich schon zwei Jahre meiner Sklaverei hinter mir. Es bedurfte dann großer Überredungskunst, um meinen Vater davon zu überzeugen, die Fischerei mit dem Ruder- / Segelboot zu beenden. Mein Vorschlag, uns ein motorisiertes Boot zu beschaffen, fand bei ihm Gehör. Erforderlich war die Berechtigung als Skipper tätig zu sein, was meinem Vater nicht schwerfiel, er hatte den notwendigen Beleg. Nur fehlte noch der Maschinistenschein, den ich dann erwarb. So war ich jetzt auch noch der Schmiermaxe, war mithin befördert. Die Anschaffung eines Motorbootes privat war nicht möglich und auch nicht gewünscht. Mein Vater stellte einen Antrag bei der Genossenschaft in Swibno auf Zuteilung eines Motorbootes, welcher auch umgehend genehmigt wurde. In Gdansk / Danzig musste auf einer Werft eine neue Maschine eingebaut sowie die Installation der Elektroanlage durchgeführt werden. Die Maschine war ein Diesel, Herkunft Dänemark. Bereits nach zwei Monaten Ausrüstung auf der Werft sowie einem Innen- und Außenanstrich konnten wir das Boot nach einer Probefahrt übernehmen. Nach ca. zwei Stunden langsamer Fahrt über die Tote Weichsel bis zur Schleuse in Einlage weiter auf der Stromweichsel konnten wir in Nickelswalde festmachen.

1957 - Das neue Motorboot

Die finanzielle Belastung betrug vom Fang Erlös jeweils 20%. Dafür waren alle unverschuldete Reparaturen kostenlos und alle zwei Jahre ebenso der Anstrich. Zwischendurch sorgten wir selber dafür. Wir spezialisierten uns etwas beim Fischfang: Silberlachse im Herbst auf der Weichsel und der Ostsee, im Sommer fingen wir den Sommerlachs

Lake Washington Ship Canal Fish Ladder pamphlet - ocean phase Coho.jpg

Wikipedia: Silberlachs

 

(Hakenlachs), da dieser sehr groß wurde mit bis 12,5 kg Gewicht. Von der Qualität war er mit dem berühmten Silberlachs nicht vergleichbar. Für diesen Fang waren dicke Netze erforderlich, sogenannte Kutternetze, denn normale Netze hätten diese Hakenlachse in tausend Stücke zerrissen. In Nickelswalde hatten diese Netze nur zwei deutsche Fischer, einer davon war mein Vater.

Der Verkauf der Fische wurde ausschließlich über die Genossenschaft abgewickelt. Der private Fischverkauf war unter Androhung einer Strafe verboten. Die Preise waren je Fischgattung garantiert und lagen im oberen Preisbereich. Unser Verdienst war mit dem Einkommen vieler Berufe nicht vergleichbar.

Der Monat Juni war die sogenannte Gurkezeit, die ich intensiv bei Sonnenschein mit Badehose und ein Buch zum Lesen am Strand genoss. Im Juli und August beschäftigten wir uns mit der Flunder. Anfangs konnte man sie ab Höhe Boskampsweg fangen, aber je wärmer das Wasser wurde desto weiter mussten wir in Richtung Osten, zum Schluss sogar bis auf der Höhe von Kalberg segeln. Die Flundern waren zu dieser Jahreszeit von höchster Qualität. Sowohl gebraten als auch geräuchert schmeckten sie ausgezeichnet.

Atlantischer Lachs

Wikipedia: Atlantischer Lachs: "Zunächst kommt er als "Blanklachs" bis er zum farbigen Lachs wird und die Männchen schließlich den Laichhaken ("Hakenlachs") ausbilden."

Danach begann der Fang nach der Zährte (Rußnase). Das ist ein weißer Fisch, der ein Gewicht von bis zu einem Pfund erreicht, äußerst fett, der geräuchert einen ausgezeichneten Geschmack hat, aber auch gebraten und in Essig eingelegt unvergesslich geblieben ist. Die Zährte konnte man nach Einbruch der Dunkelheit fangen. Die Fangzeit dauerte ca. drei Wochen. Ab Mitte Oktober, wenn das Wasser kühler wurde, konnte man vereinzelt auch schon mal einen Silberlachs fangen. Für diesen war die beste Fangzeit während des Beginns der Saison der frühe Nachmittag. Es musste die Sonne scheinen, denn die Sonnenstrahlen zogen den Lachs an; das Gleiche galt während der Hauptsaison bei Mondschein. Der Mond erleuchtete die gesamte Weichsel. Dadurch zogen die Lachse in Scharen die Weichsel aufwärts.

Nach den Erzählungen meines Vaters hat es schon vor dem Krieg während der Zeit von Mitte Oktober bis in den November hinein Verschmutzungsprobleme in der Weichsel gegeben. Am Oberlauf der Weichsel wurde das Abwasser von Zuckerrübenfabriken eingeleitet. Dadurch verdreckten die Treibnetze, und dem Lachs war das Wasser zu trübe, denn dieser liebt das klare Wasser. Eine zunehmende Verdreckung erfolgte nach dem Krieg in schnellen Schritten ab 1955, bereits 1957/58 war der Lachsfang sehr stark zurückgegangen. Einige nachdenkliche Polen waren nach einer Aussage meiner 91-jährigen liebevollen polnischen ehemaligen Nachbarin wohl der Meinung, die Deutschen wären nun alle fortgegangen und mit ihnen die Fische.

Zährte (Vimba vimba)

Wikipedia: Zährte