Im Herbst 1946 wurden tonnenweise
Silberlachse in der Weichsel gefangen, was es bis dahin noch nie gegeben
hatte. Es wurde viel, sehr viel Geld verdient. Den deutschen Fischern
war klar, dass dieser Fischsegen purer Zufall war. Deswegen hielten sie
das verdiente Geld auch zusammen, denn im Winter, der sich bis in den
März hinziehen konnte, wurde nichts verdient. Viele der neuen
Dorfbewohner hatten das nicht richtig mitbekommen; einige lebten nach
dem Motto „So leben wir, so leben wir alle Tage …“.
1953 / 54: Fischer
Bernhard Hübert, Jan Nowitzki und Ernst Friedrich Mandey in
Nickelswalde, im Hintergrund die Dünen von Schiewenhorst.
Aber trotz dieser Erkenntnis kam bei ihnen
keine Not auf, denn es wurde ja immer noch genug von den Deutschen, die
man verjagt hatte, gefunden. Es dauerte auch nicht lange da merkten sie,
dass die Deutschen viel Hab und Gut vergraben hatten. Da zogen dann
Suchtrupps mit langen dünnen Eisenstangen durch die Gegend und
stocherten in der Erde herum und gruben vieles aus. Bei den
Schatzsuchern kam so richtig Freude auf. Einige wenige spezialisierten
sich auf Friedhöfe, legten die Gräber frei und schauten nach, ob der
Leichnam Goldzähne hatte; es hatten viele von ihnen welche … und dabei
hatte doch Marschall Jozef Pilsudski schon gesagt, nehmt nicht, was euch
nicht gehört.
Zurück zur Fischerei. Der Lachsfang fing
Anfang Oktober an und dauerte bis der Frost einsetzte. Das konnte Ende
November sein, wenn alles gut ging, dann im Schnitt bis Mitte Dezember.
Für die deutschen Fischer gab es schon
bald Probleme, und zwar mit den Fischerbooten. Es gab davon ganz wenige
und diese waren nur notdürftig repariert. Die meisten waren entweder
total zerstört oder zumindest stark beschädigt worden. Durch Zufall
wurden meinem Vater sehr viele neue Bretter angeboten. Er kaufte alle.
Diese Menge ergab fünf Ruder- / Segelboote. Gebaut wurden diese von
einem deutschen Bootsbauer, der mit seinem Sohn in der Nähe von Kahlberg
arbeitete.
Diese Boote wurden von der
Fischereigenossenschaft nicht enteignet sondern verblieben als privates
Eigentum. Wenig später konnten die polnischen Fischer bei der
Fischereigenossenschaft in Schiewenhorst (der Ort wurde nach 1945
zweimal umbenannt, zuerst in Spiewowo, später in Swibno) Fischerboote
bestellen. Diese gingen nicht in ihr Eigentum über sondern wurden
verliehen (heute würde man wohl sagen, sie wurde geleast). Die
Leihgebühr war nicht monatlich fällig, sondern betrug einen geringen
Prozentsatz vom Fanggeld. Ich erinnere mich nicht mehr genau aber ich
denke, es waren ca. 10%.
Für mich begann der Ernst des Lebens im
August 1951. Ich wurde als Jungfischer angemeldet und vom Seemannsamt
bestätigt. Meine Begeisterung, nun ein Fischer zu werden, glich einem
Ochsen, der zum Stabhochsprung ansetzen soll.
Ich fing bei meinem Vater auf einem Ruder-
/ Segelboot zu arbeiten. Es war eine Sklavenarbeit, zumindest aus meiner
Sicht. Mein Vater war da natürlich ganz anderer Meinung. Nicht selten
waren wir Tag und Nacht zum Fischen unterwegs. Bei Sonnenschein war der
Fang recht dürftig, dagegen war die Ausbeute bei Sturm, Regen, Hagel und
Schnee gut bis sehr gut. Es war recht gruselig auf dem Wasser bei
dunkler Nacht und oft bei hohem Wellengang. Hin und wieder war das
Heulen von Seehunden zu hören, ein Zeichen, dass du nicht allein da
draußen warst. Sehr viel von dem, was ich tat, befand mein Vater als
nicht richtig. Aber wenn man vom Vater ausgebildet wird, macht man
grundsätzlich vieles falsch, denn aus seiner Sicht muss der Sohn immer
besser sein als andere. Irgendwann ist mir das auch klar geworden.
Nun hatte ich schon zwei Jahre meiner
Sklaverei hinter mir. Es bedurfte dann großer Überredungskunst, um
meinen Vater davon zu überzeugen, die Fischerei mit dem Ruder- /
Segelboot zu beenden. Mein Vorschlag, uns ein motorisiertes Boot zu
beschaffen, fand bei ihm Gehör. Erforderlich war die Berechtigung als
Skipper tätig zu sein, was meinem Vater nicht schwerfiel, er hatte den
notwendigen Beleg. Nur fehlte noch der Maschinistenschein, den ich dann
erwarb. So war ich jetzt auch noch der Schmiermaxe, war mithin
befördert. Die Anschaffung eines Motorbootes privat war nicht möglich
und auch nicht gewünscht. Mein Vater stellte einen Antrag bei der
Genossenschaft in Swibno auf Zuteilung eines Motorbootes, welcher auch
umgehend genehmigt wurde. In Gdansk / Danzig musste auf einer Werft eine
neue Maschine eingebaut sowie die Installation der Elektroanlage
durchgeführt werden. Die Maschine war ein Diesel, Herkunft Dänemark.
Bereits nach zwei Monaten Ausrüstung auf der Werft sowie einem Innen-
und Außenanstrich konnten wir das Boot nach einer Probefahrt übernehmen.
Nach ca. zwei Stunden langsamer Fahrt über die Tote Weichsel bis zur
Schleuse in Einlage weiter auf der Stromweichsel konnten wir in
Nickelswalde festmachen.
1957 - Das neue Motorboot
Die finanzielle Belastung betrug vom Fang
Erlös jeweils 20%. Dafür waren alle unverschuldete Reparaturen kostenlos
und alle zwei Jahre ebenso der Anstrich. Zwischendurch sorgten wir
selber dafür. Wir spezialisierten uns etwas beim Fischfang: Silberlachse
im Herbst auf der Weichsel und der Ostsee, im Sommer fingen wir den
Sommerlachs |
Wikipedia: Silberlachs
|
(Hakenlachs), da dieser sehr groß wurde mit bis 12,5 kg
Gewicht. Von der Qualität war er mit dem berühmten Silberlachs nicht
vergleichbar. Für diesen Fang waren dicke Netze erforderlich, sogenannte
Kutternetze, denn normale Netze hätten diese Hakenlachse in tausend
Stücke zerrissen. In Nickelswalde hatten diese Netze nur zwei deutsche
Fischer, einer davon war mein Vater.
Der Verkauf der Fische wurde
ausschließlich über die Genossenschaft abgewickelt. Der private
Fischverkauf war unter Androhung einer Strafe verboten. Die Preise waren
je Fischgattung garantiert und lagen im oberen Preisbereich. Unser
Verdienst war mit dem Einkommen vieler Berufe nicht vergleichbar.
Der
Monat Juni war die sogenannte Gurkezeit, die ich intensiv bei
Sonnenschein mit Badehose und ein Buch zum Lesen am Strand genoss. Im Juli und
August beschäftigten wir uns mit der Flunder. Anfangs konnte man sie ab
Höhe Boskampsweg fangen, aber je wärmer das Wasser wurde desto weiter
mussten wir in Richtung Osten, zum Schluss sogar bis auf der Höhe von
Kalberg segeln. Die Flundern waren zu dieser Jahreszeit von höchster
Qualität. Sowohl gebraten als auch geräuchert schmeckten sie
ausgezeichnet. |
Wikipedia: Atlantischer Lachs: "Zunächst kommt er als "Blanklachs" bis
er zum farbigen Lachs wird und die Männchen schließlich den Laichhaken
("Hakenlachs") ausbilden." |
Danach begann der Fang nach der Zährte (Rußnase).
Das ist ein weißer Fisch, der ein Gewicht von bis zu einem Pfund
erreicht, äußerst fett, der geräuchert einen ausgezeichneten Geschmack
hat, aber auch gebraten und in Essig eingelegt unvergesslich geblieben
ist. Die Zährte konnte man nach Einbruch der Dunkelheit fangen. Die
Fangzeit dauerte ca. drei Wochen. Ab Mitte Oktober, wenn das Wasser kühler
wurde, konnte man vereinzelt auch schon mal einen Silberlachs fangen.
Für diesen war die beste Fangzeit während des Beginns der Saison der
frühe Nachmittag. Es musste die Sonne scheinen, denn die Sonnenstrahlen
zogen den Lachs an; das Gleiche galt während der Hauptsaison bei
Mondschein. Der Mond erleuchtete die gesamte Weichsel. Dadurch zogen die
Lachse in Scharen die Weichsel aufwärts.
Nach den Erzählungen meines Vaters hat es
schon vor dem Krieg während der Zeit von Mitte Oktober bis in den
November hinein Verschmutzungsprobleme in der Weichsel gegeben. Am
Oberlauf der Weichsel wurde das Abwasser von Zuckerrübenfabriken
eingeleitet. Dadurch verdreckten die Treibnetze, und dem Lachs war das
Wasser zu trübe, denn dieser liebt das klare Wasser. Eine zunehmende
Verdreckung erfolgte nach dem Krieg in schnellen Schritten ab 1955,
bereits 1957/58 war der Lachsfang sehr stark zurückgegangen. Einige
nachdenkliche Polen waren nach einer Aussage meiner 91-jährigen
liebevollen polnischen ehemaligen Nachbarin wohl der Meinung, die
Deutschen wären nun alle fortgegangen und mit ihnen die Fische. |
Wikipedia: Zährte |