Gaststube
Jeweils ein
Sofa mit Tisch stand an den Außenwänden, dazwischen gab es noch
zwei Tische mit Stühlen. Auf den Sofas hüpften wir Kinder gerne
herum. Als wir uns einmal gerade wieder einen Bonbon aus einem
der schräg liegenden Bonbongläser im Laden geholt hatten (wir
durften das), gingen wir wieder auf die Sofas zum Hopsen. Dabei
verschluckte sich Traute am Bonbon und bekam keine Luft mehr.
Schnell holte ich meinen Vater. Der nahm Traute an den Füßen und
ließ sie kopfüber hängen. Ich musste ihr auf den Rücken klopfen
und dann rutschte der Bonbon zum Glück heraus.
Der
Wareneinkauf in Danzig
Die Waren für
unseren Laden holte mein Vater aus Danzig, wohin er mit der
Kleinbahn fuhr. Beim Großhändler kaufte er die notwendigen
Waren, der diese dann zur Kleinbahn bringen ließ oder Papa
mietete für diese Strecke ein Fuhrwerk. In Landau angekommen,
belud er das von seinem Freund Gerhard Daniels geliehene
Fuhrwerk mit den mitgebrachten Waren und brachte sie so nach
Hause. Hier half ihm das polnische Dienstmädchen Anna, den
Einspänner zu entladen. Sie war sehr stark und schaffte es,
einen Zuckersack allein zu tragen.
Zur Adventszeit
nahm er zum Händler dann eine Gans mit, was mit seltenen Waren
belohnt wurde.
Im Laden
verkaufte Papa die zu wiegenden Sachen, indem er, wenn das
Gewicht genau stimmte, als Obolus für den Kunden noch etwas mehr
hinzutat.
Eine
Skatrunde in Landau
Jeden
Donnerstagabend traf sich um 19.00 Uhr eine kleine Skatrunde,
bestehend aus Friedrich Just, Gerhard Daniels und meinem Vater
(Hans Claassen) mit ihren Frauen in unserer (der Claassenschen)
Gaststube.
Die Männer
spielten Skat und tranken dazu Kognak, die Frauen plauderten und
tranken Arrak. Die Frauen wollten nicht so viel trinken, also
schenkte meine Mutter (Gertrude Claassen) zwischendurch mehrere
Runden Wasser aus. Einmal merkten die Männer etwas: „Nanu,
unsere Frauen sind ja noch gar nicht lustig?“ Einer wollte dann
das Glas mit seiner Frau tauschen, um den vermuteten Schwindel
aufzudecken. Doch da Mutti zufällig gerade mal wieder
tatsächlich eine Runde Arrak eingegossen hatte, konnte er nichts
bemängeln. Gegen 21.00 Uhr löste sich die Runde gewöhnlich auf.
Die Gäste
Wer eine warme
Mahlzeit bei uns haben wollte, erhielt ein Bauernfrühstück. Das
bestand aus Bratkartoffeln und ein drumherum geklapptes Omelett
aus 4 Eiern.
Übernachtungsgäste hatten wir nicht. Das eine kleine Zimmer
oben, hinter dem Kinderschlafzimmer hieß „Fremdenzimmer“. Es
hatte nur ein Bett. Die einzige, die dort mal übernachtete war
Fräulein Velauer, die Schneiderin. Sie nähte für uns Mädchen je
ein Kleid. Den Stoff hatten meine Eltern in Danzig gekauft.
Einmal kaufte
Tante Berta (Verwandte, Frau von Arthur Schmidt.
Dieser kam zu Claassens immer zum Schlachten, er war entweder
Schlachter oder konnte es.) aus Scharfenberg (genau
gegenüber von Landau am anderen Mottlau-Ufer) in Danzig Stoff
für ein Sommerkleid. Sie kam und erzählte: „Ich habe schönen
grünen Stoff gekauft.“ Ein Sommerstoff mit Blümchen. Meine
Mutter fuhr nach Danzig und kaufte den gleichen Stoff in blau.
Inzwischen überdachte Tante Berta ihren Kauf: „Da war doch noch
so schöner blauer Stoff, der war ja eigentlich schöner.“ Und
nahm ihren Stoff, fuhr nach Danzig und tauschte ihn gegen den
blauen. Meine Mutter erzählte ihr danach: „Ich hab mir den Stoff
in blau gekauft“. Tante Berta erkannte ihren Fehler, fuhr wieder
nach Danzig und tauschte den grünen Stoff zurück.
Unser Vieh
Das Vieh
bestand nur aus einem Schwein, 3 Gänsen und vielen Hühnern.
Unser Land
Richtiges
Ackerland hatten wir nicht, nur das Stückchen hinter dem Haus,
so groß wie das Haus ist. Und natürlich hatten wir den Garten.
Die Laube
Unsere Laube
befand sich gegenüber der Haustür. Sie hatte keine Tür. Der
Eingang war oben rundbogig. Die Fenster waren ohne Glas, nur mit
schrägen Leisten versehen. Ringsherum an den Wänden des
rechteckigen Raumes befand sich eine umlaufende Bank.
3 Meter weiter
nach rechts neben der Laube war die Gartenpforte.
Das Rauchen
Überall wurde
geraucht. Der einzige im Dorf, der nicht rauchte, war mein
Vater. Hat ihm aber nichts genützt. Sein Bruder, der zwei Jahre
jünger war als er, hat geraucht und hat länger gelebt als er.
Die
„Huppskarre“
Zur Kirchfahrt
nach Wotzlaff borgte Papa oft den Einspänner mit der
„Huppskarre“ von Gerhard Daniels aus. Die „Huppskarre“ war ein
kleiner Wagen auf nur 2 Rädern und hieß wohl so, weil er auf den
unebenen Wegen hopste.
Im Winter
ersetzte ein Schlitten die „Huppskarre“. Gern fuhren auch mal
zwei Jungen unerlaubt hinten auf den Kufen mit. Dann nahm Papa
die Peitsche und hob mit dem Peitschenstiehl einem der beiden
die Mütze vom kahl geschorenen Kopf (nur vorn war ein kleines
Büschelchen Haare, genannt „Ponny“, stehen geblieben –
friseurtechnische Meisterleistungen waren bei Jungen nicht
gefordert.). Gleich hüpften die Jungen herunter und erhielten
sofort die Mütze des einen zurück. Das klappte ohne Worte, denn
die Winter waren kalt.
Auf der
Kutschbank saßen die Eltern, dahinter auf dem Boden der kleinen
Ladefläche die Kinder (Traute und Gerda). Damit es nicht zu kalt
war, wurden heiße Ziegelsteine zum Sitzen ausgelegt und dort, wo
die Füße waren, auch noch welche. Dann wurden die Kinder mit
einer Decke zugedeckt.
In der
Schule
Die Dorfschule
von Landau befand sich von unserem Haus aus nur knapp 40 m
weiter, an Tante Meta Kleiß, unserem Nachbarhaus, vorbei.
Wenn wir in der
Schule ungezogen waren, gab es etwas mit dem Stock auf die
Handinnenflächen. Ich sollte auch einmal Schläge mit dem Stock
erhalten. Der Lehrer forderte mich auf, die rechte Hand mit der
Handfläche nach oben auf die Bank zu legen, was ich auch tat.
Aber sofern der Stock niedersauste zog ich sie schnell weg. Das
gleiche noch einmal, dann hielt der Lehrer mit einer Hand meine
Hand fest. Da klappte ich im entscheidenden Moment die Finger
zur Faust und der Schlag ging vorbei. Dann gab der Lehrer meine
Bestrafung auf.
Zufügung
2015: Unser Lehrer in Landau hieß Herbert Krüger. Er ging zu
meinen Eltern und sagte zu ihnen, er würde empfehlen, mich auf
die Aufbauschule nach Danzig zu schicken. Das taten meine Eltern
dann auch.
Herr Krüger
musste irgendwann in den Krieg. Zur Vertretung kam Lehrer
Künnecke aus dem Nachbarort zu Fuß nach Landau. Kurz bevor er
den Klassenraum betrat rief ein Kind: „Achtung, 8 Pfund –
Künnecke kummt!“ Dieser Lehrer war Mitglied in einem
Musizierkreis oder Konzertverein in Danzig. Er war immer sehr
müde und schlief auch mal im Unterricht ein.
Schule in
Danzig
Erstmal war ich
die einzige aus Landau, die nach Danzig zur Schule fuhr, nur
zwei Jungen aus dem Nachbarort Hochzeit kamen noch mit. Bis zur
6. Klasse ging ich in Landau zur Schule und danach in die
Aufbauschule nach Danzig.
Jeden Tag
fuhren wir dann mit der Kleinbahn. Die Straße vom Kleinbahnhof
bis zur Mottlau hieß Langgarten. Dann ging man über eine Brücke
durch das Milchkannentor, durch die Milchkannengasse über die
Grüne Brücke durch das Grüne Tor. Dort bog man links ab und kam
dann zum Winterplatz, wo das Gymnasium stand. Die Aufbauschule
war im selben Gebäude untergebracht. 10 nach halb Acht sollte
der Zug in Danzig ankommen und das hat er fast nie geschafft. Er
kam immer erst 10 vor Acht an. Da wir für den Schulweg 20
Minuten benötigten, wären wir nur wenn der Zug pünktlich käme
zur rechten Zeit in der Schule angekommen. So kam man ständig 10
min zu spät und entschuldigte sich mit „Der Zug hatte
Verspätung“. Anfangs bin ich immer gelaufen, um nicht allzu spät
zu kommen, während die anderen schlenderten. Später hat Heinz
Tetzlaff meine Tasche getragen. Das war ein Liebesdienst. Das
war aber mein Cousin, genauso alt wie ich.
Eine Woche
hatten wir vormittags, die andere nachmittags Unterricht, immer
abwechselnd. Die Wochen mit dem Nachmittagsunterricht waren
irgendwie geruhsamer. Da fing der Unterricht erst um 2 Uhr an.
Dann gingen wir zum „Tageskino“ am Langen Markt oder in die
Langgasse, wo die Ufa - Festspiele und die Tobisfestspiele
waren. Der Besuch der Vorstellung kostete Pfennigbeträge.
Taschengeld erhielten wir nicht, aber wenn ich zu meinen Eltern
ging und sagte: „Ich brauch mal ein bisschen Geld“, dann bekam
ich etwas. An Geld hat´s nicht gemangelt.
Im Kino ging es
aber auch noch darum, wie alt man war. Mit zwölf Jahren war man
zu jung, man musste schon 14 sein. Ich mit meinen zwei Zöpfen
und meine Schwester Traute mit ihren beiden Zöpfen, wir sahen
nie wie 14 aus.
Einmal wollten
wir „Wiener Blut sehen“, was auch erst ab 14 war. Da gingen wir
dann in ein Kino etwas abseits, da wurde nicht so auf das Alter
geachtet.
Erinnerungen
im Herbst 2014
Umrechnungen
1 Mandel Eier =
12 Eier 1 Schock Eier = 60 Eier
1 Dittchen in
Danzig = 10 Pfennige = 1 Groschen im Reich
Nachdem Danzig
1939 ins Reich eingegliedert worden war, musste der Gulden immer
in Reichsmark umgerechnet werden. ¾ Reichsmark = 1 Gulden
Ich musste im
Laden nachmittags immer umrechnen, weil anfangs noch alle Waren
in Gulden ausgezeichnet waren. Den Guldenwert teilte ich zuerst
durch 4, danach multiplizierte ich das Ergebnis mit 3 und hatte
dann den Wert in Reichsmark errechnet.
Deichbau und
Hochwasser
1935 wurde die
Mottlau vor unserem Haus ausgebaggert und mit dem Baggergut der
Deich deutlich erhöht. In dem Schlamm waren viele Aale drin.
Einmal habe ich
in Landau Hochwasser erlebt. Es überschwemmte den Streifen Land
vor dem Haus, den Garten und die Wiese. Das muß etwa 1939
gewesen sein. Ich erinnere mich, dass wir in der Schule einen
Aufsatz darüber schreiben mussten.

Vorderste Reihe, 3. von rechts Waltraut Claassen,
Reihe dahinter 1. von rechts Gerda Claassen